Wo Krisen zur Chance werden
Selbst in großer Armut, Wohnungsnot und im Erleiden gesellschaftlicher wie familärer Ächtung kann eine - oft ungewollte - Schwangerschaft zur Chance für eine Neugestaltung des Lebens werden. Dies dürfen Mütter in Not im Mutter-Kind-Zentrum "In mother's arms" in Moldawiens Hauptstadt Chisinau, betrieben von der Wiener Caritas und der moldauischen "Diaconia", der Sozialorganisation der bessarabisch-orthodoxen Kirche, erfahren. Österreichs Caritas-Präsident Franz Küberl überzeugte sich beim Lokalaugenschein von der Arbeit der Caritas und ihrer Projektpartner zur Linderung von Elend und Not, worunter im ärmsten Land Europas gerade Mütter und Kinder leiden. "Kathpress" begleitete den Caritas-Präsidenten bei seinem Besuch.
"In der Republik Moldau werden Frauen mit außerehelichen Schwangerschaften immer noch häufig herabgewürdigt. Vor allem im ländlichen Raum gelten sie als 'abnormal' und werden dem Gefühl von Scham und Schande ausgesetzt", berichtete der Direktor des Mutter-Kind-Zentrums, Igor Belei, dem österreichischen Caritas-Präsidenten. In Fällen außerehelicher Schwangerschaften würden auch die familiären Banden, die angesichts der großen Armut im Land und einer insuffizienten staatlichen Sozialstruktur den oft letzten Rückhalten bilden, aufgelöst. Das Mutter-Kind-Zentrum "In moterh's arms" ist dann letzter Rettungsanker für die in Not Geratenen.
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Das im September 2011 eröffnete Zentrum beinhaltet ein Wohnhaus mit zehn Plätzen für Mütter mit ihren Kindern sowie eine Beratungsstelle, die diesen lebenspraktisch, psychologisch, medizinisch und in all diesem mitmenschlich-fürsorgend zur Seite steht. Vor Ort wird "In mother's arms" von der orthodoxen "Diaconia" geführt, unterstützt von der Caritas der Erzdiözese Wien.
Armut kennt keine Konfession
"Armut kennt keine konfessionellen Grenzen, wir alle sind hier mit diesem Problem konfrontiert. Umso mehr danke ich der katholischen Kirche, die Erfahrung, Know-how und Mittel in das Projekt bringt", so Belei zum Caritas-Präsidenten. In der Republik Moldau, wo 90 Prozent der Menschen orthodox sind, ist die Sozialarbeit der orthodoxen Kirche erst im Aufbau begriffen. "In der Sowjetunion gab es keinen Raum für kirchliche Aktivitäten", weiß der Direktor des Hauses.
Das Mutter-Kind-Haus versteht sich als niederschwellig und unbürokratisch organisierte Kriseneinrichtung, in die Frauen etwa von den drei Entbindungskliniken in der rund 720.000 Einwohner-Stadt Chisinau, auf Empfehlungen von NGOs oder des städtischen Amtes zum Schutz für Kinderrechte kommen. Von den derzeit neun Klientinnen sind sieben Waisen, also Mütter, die ihre eigene Jugend im Waisenhaus oder auf der Straße verbracht haben. Viele der Mütter - die derzeit jüngste ist 15, die älteste 42 Jahre alt - "wurden im Kindesalter selbst von ihren Eltern alleine gelassen, weil diese zum Geldverdienen ins Ausland gingen bzw. gehen mussten", informierte der Hausleiter die Delegation rund um Franz Küberl.
Neben der Auflösung des familiären Rückhalts infolge der Stigmatisierung von Geburten außerhalb eines Eheverhältnisses ist die Wohnungsnot das größte Problem für die Mütter. 30 Quadratmeter Wohnfläche - in heruntergekommenen Plattenbauten, ohne Installationen von Wasser, Heizung und Strom sowie fast selbstredend ohne jede Inneneinrichtung - kosten in Chisinau monatlich rund 150 Euro (umgerechnet etwa 2.400 Lei). Eine Summe, die für alleinstehende Mütter schlicht unbezahlbar ist. Selbst für eine 15 Quadratmeter-Einheit mit Küche, Dusche und WC werden mindestens 70 bis 80 Euro (1.120 bis 1.280 Lei) verlangt - die staatliche Unterstützung für diese Frauen und ihre Kinder beträgt gerade einmal 300 Lei.
Verkühlung kostet 500 Lei
"Im Mutter-Kind-Haus erhalten die Frauen einen Zuschuss von 1.200 Lei, aber auch damit kommt man bei sparsamer Haushaltsführung gerade einmal über die Runden, wenn das Kind zu 100 Prozent gesund ist. Eine einfache Verkühlung des Babys kostet 500 Lei, das ist auch bei intakten Familienverhältnissen eine große Belastung", erläuterte Direktor Belei. In Chisinau und erst recht in den Landgegenden der Republik Moldau sind die Neugeborenen oft unterernährt und gesundheitlich angeschlagen. Die medizinische Versorgung ist lückenhaft, außerhalb der Basisversorgung kostenpflichtig und ein soziales Netz für Mütter nach der Geburt schlicht nicht vorhanden. In ganz Chisinau gibt es 22 Krippenplätze.
Die Not leidenden Mütter, die in der Kriseneinrichtung Obdach und Betreuung durch Sozialarbeiter erfahren, lernen, selbst unter widrigsten Umständen Schritte in Richtung Selbstbestimmung und autonomer (Über)Lebensgestaltung für ihr Kind und sich selbst zu gehen. Die Sozialarbeiter begleiten etwa unterstützend bei Amtswegen, bei der Abwicklung von Arztterminen, bei der Erstellung eines möglichst gesunden Ernährungsplans oder bei der Budgetierung des Haushalts.
Alkohol und Gewalt
Keine der 17 Frauen, die "In mother's arms" bereits verlassen habe, hat Kontakt zu den Vätern der Kinder. Die Frauen wurden in der Regel von ihrem Partner verlassen, viele der Männer sind alkoholabhängig, nicht wenige der Mütter haben in ihrer eigenen Kindheit Alkoholismus, häusliche Gewalt, Missbrauch und Vergewaltigung innerhalb der Familie am eigenen Leib erleiden müssen. "Man darf sich nicht wundern, wenn ein entsprechend negativ behaftetes Familienbild in den Köpfen der Frauen verankert ist", so Küberl im Zwiegespräch mit dem Hausdirektor.
Auch wenn das Mutter-Kind-Zentrum keine eigene Anlaufstelle für Gewaltopfer sei, da das für den Opferschutz und die Zusammenarbeit mit der Polizei erforderliche juristische Rüstzeug fehle, sei die triste Situation kein Grund zur Resignation. Der Anspruch, in sozialer Kargheit die zarte Pflanze der Mutter-Kind-Beziehung zum Gedeihen zu bringen, zeitige Erfolg. Elf der insgesamt 17 ehemaligen Klientinnen brauchen mittlerweile weder Betreuung noch Nachbetreuung, die weiteren sechs Ausgezogenen werden noch im Monitoring-Verfahren begleitet.
Quelle: Kathpress