Die Gefahr der "Nabelschau"
Papst Franziskus hat mit seinen Friedensappellen und dem wiederholten Aufmerksammachen auf das Schicksal der Bootsflüchtlinge im Mittelmeer den Blickwinkel der Kirche "von den kircheninternen Problemen hin zu den Nöten der Gegenwart" gewendet. So hat Bischof Manfred Scheuer das erste Jahr des Pontifikats von Jorge Mario Bergoglio und die aktuelle Stimmung in der katholischen Kirche zusammengefasst. "Das war wichtig, weil die Kirche in großer Gefahr war, sich zu sehr mit sich selbst zu beschäftigen", sagte der Innsbrucker Diözesanbischof in einem Interview der Tiroler Tageszeitung (11. April).
Die Hoffnung auf einen Aufbruch der Kirche liege "nicht in der Kirche selbst, sondern im Evangelium, in dessen Mitte Jesus Christus steht", sagte Scheuer. In Bereichen wie der Caritas oder in Sozialinstitutionen erlebe er in dieser Hinsicht großes Engagement. "Da gibt es Zeichen gelebter Solidarität und eine Hinwendung zu den Armen."
Gleichzeitig erinnerte der Bischof an Grenzen des sozialen und politischen Engagements der Kirche. "Es gibt jedoch nicht die Antwort auf die drängenden Fragen der Zeit, die alles beantwortet. Die Kirche kann nicht die Probleme der Finanzmärkte lösen. Natürlich können wir ethische Rahmenbedingungen einfordern. Wenn ich den Kapitalismus kritisiere, habe ich damit noch lange keine gerechte Wirtschaftsordnung geschaffen", sagte Scheuer. Ziel der Kirche müsse dennoch sein, Probleme und Fragestellungen bewusster zu machen, etwa bei Fragen der (Generationen-)Gerechtigkeit, der Wirtschaft, der Pflege oder der Ökologie.
Suche nach Bestätigung vom Papst
Differenziert bewertete der Innsbrucker Bischof in dem Interview die seit dem Amtsantritt des neuen Papstes gewachsenen Erwartungshaltungen hinsichtlich Reformen in der Kirche. "Ich erlebe eine gewisse Zuversicht, aber auch Kräfte, bei denen es nicht um links oder rechts, liberal oder reaktionär geht, sondern die Bestätigung suchen. Inhaltliche Fragen werden mit persönlichen verquickt. Und das macht es oft nicht ganz einfach", sagte Scheuer. Er habe "manchmal den Eindruck, vom Papst wird erwartet, dass er die Probleme löst, die jedoch nur von den Menschen selbst bewältigt werden können".
Die Kirche bewege sich derzeit in einem Spannungsfeld von "Herausforderung und manchmal Ratlosigkeit, wie es weitergehen soll", so der Bischof. Kirchliches Leben tue sich derzeit nicht leicht, was aber gleichermaßen für das gesellschaftliche Leben gelte. "Beziehungsprobleme werden nicht gelöst, indem man sagt: 'Ehe und Familie sind wichtig.' Da entstehen Verletzungen, da gibt es das Scheitern und deshalb muss es gleichzeitig das Verzeihen geben."
Von der im Herbst anstehenden Bischofssynode erwarte er sich deshalb Antworten auf die Fragen, wie Beziehungen, Ehe und Familie gelingen, aber auch "wie wir Menschen begleiten, die gegenwärtig das nicht leben können oder wollen", sagte Scheuer. "Man kann rechtliche Rahmenbedingungen und Strukturen schaffen. Dass dadurch Beziehung und Familie gelingt, können sie aber nicht bewirken. Eine ganz zentrale Frage ist dabei die Versöhnung."
"Zuerst auf die Menschen schauen"
Zur aktuellen Debatte um die Rechte gleichgeschlechtlicher Paare betonte der Innsbrucker Bischof grundsätzlich, dass gleichgeschlechtlich orientierte Menschen nicht diskriminiert werden dürften. "Das ist eine ganz zentrale Botschaft, die jedoch nicht immer von allen so in der Kirche vermittelt wird", sagte Scheuer.
Beim Adoptionsrecht sei "die Argumentation derzeit so, dass das Kind ein Anrecht auf einen leiblichen Vater und eine leibliche Mutter hat". Das Kindeswohl stehe im Mittelpunkt, so der Bischof, eine Differenzierung sei keine Diskriminierung: "Man sollte zuerst auf die Menschen schauen und nicht auf Kategorien."