Reproduktionsmedizin: "Rückschritt zu Technikgläubigkeit"
Der Gesetzesentwurf zur Fortpflanzungsmedizin ist kein Fortschritt, sondern stellt im Gegenteil einen "Rückschritt in reine Technikgläubigkeit" dar: Das hat die Generalsekretärin der "Aktion Leben", Martina Kronthaler, am Freitag in zwei Gastkommentaren für die Tageszeitungen "Der Standard" und "Die Presse" betont. Sie forderte einen ganzheitlichen Ansatz ein und wies auf "vielfältige Risiken für Kinder und Frauen" hin, die mit den geplanten Neuerungen bei der Reproduktionsmedizin bevorstünden. Auch die Kritik der "Aktion Leben" an der fehlenden Berücksichtigung des Kindeswohls beim Gesetzesvorhaben erneuerte Kronthaler.
Statt zu fragen, ob ein Gesetz "liberal und fortschrittlich" ist, müsse seine Prüfung das Wohlergehen aller Beteiligten sichern, betonte die Generalsekretärin. Im Falle von Lockerungen bei der In-vitro-Fertilisation (IVF) seien damit verbundene Risiken - auch für Einlingsschwangerschaften - jedoch durch Studien hinreichend erwiesen. "Für die Wunscherfüllung eines oder zweier Menschen wird der statistisch voraussagbare Schaden eines Dritten billigend in Kauf genommen", zitierte die "Aktion Leben"-Generalsekretärin den Präsidenten der Liga für Kinder- und Jugendgesundheit, Klaus Vavrik.
Ein weiterer Kritikpunkt Kronthalers ist die vorgesehene Altersgrenze von 45 Jahren, bis zu der das Gesetz Frauen die Einsetzung fremder Eizellen erlauben will. Hohes Mutteralter und IVF seien neben Armut und Stress Risikofaktoren für eine Frühgeburt, die heute die Hauptursache für Sterblichkeit bei Kleinkindern sei. Eine "vom Präventionsgedanken geleitete Gesundheitspolitik" würde keine Altersgrenze festsetzen, die noch mehr Kindern die Belastung einer Frühgeburt zumute. Kronthaler vermutet hier den Einfluss der Geschäftsinteressen von Kinderwunschzentren.
Risiken durch Eizellenspende
Die im Gesetzesentwurf erlaubte Eizellspende sei nicht mit der Samenspende zu vergleichen, zumal sie junge Frauen durch die nötige Hormonstimulation und Punktion Gefahren aussetze, so Kronthaler weiter. Gut aufgeklärte Frauen würden sich dafür nicht zur Verfügung stellen, außer es bestehe "subtiler Druck" durch Verwandte oder finanzielle Not, worauf auch bereits die im Entwurf vorgesehene "Aufwandsentschädigung" deute, denn "in anderen Ländern tun dies Frauen vorwiegend gegen Entgelt". Problematisch sei auch, dass das Gesetz die Aufklärung genau durch jenen Arzt vorsieht, der die Eizellen für seine zahlenden Patientinnen benötigt.
Es helfe Kindern weiters nicht, wie im Gesetz vorgesehen ab 14 Jahren ein Anrecht bloß auf Information über den Namen ihres genetischen Elternteils zu erhalten, nicht aber über die Umstände ihres Entstehens. Kronthaler: "Einer Studie zufolge werden nur 8,6 Prozent der Kinder aus Samenspenden darüber informiert." Ein Ernstnehmen der Kinderrechte würde die Verpflichtung zur Aufklärung bedeuten, sei doch aus der Adoptionsforschung längst bekannt, dass Wissen über die Herkunft für die Entwicklung einer stabilen Identität nötig sei.
Verpasste Chance auf Monitoring
Als verpasste Chance des Gesetzesentwurfs bezeichnete es Kronthaler, dass keine Erfolgskontrolle eingeführt wurde, die über die bloße Geburtenmeldung hinausgeht. Erhoben werden müsste etwa, wie es den auf diese Weise gezeugten Kindern später geht, wobei Neonatologen und Kinderärzte bei der Erarbeitung von Kriterien für eine umfassende Dokumentation einbezogen werden sollten. Für mehr Monitoring nach IVF hatte sich zuletzt auch die Vorsitzende der Bioethikkommission, Christiane Druml, in der "Wiener Zeitung" ausgesprochen.
Insgesamt habe die Gesellschaft verabsäumt dafür zu sorgen, "dass Frauen rechtzeitig ihre Kinder bekommen können und trotzdem Beruf und Ausbildung schaffen", so Kronthaler: "Warum sagt niemand jungen Menschen, dass ab 35 Jahren die Fruchtbarkeit bei Frauen rasch sinkt? Warum sorgen wir nicht dafür, dass Frauen in jungen Jahren Kinder bekommen können und wollen? Warum vermitteln wir nicht schon in der Schule, dass Fruchtbarkeit keine Last, sondern ein wertvolles Gut ist? Warum interessieren uns die Gründe für die zunehmenden Fruchtbarkeitsprobleme so wenig?" Die Auslagerung der Antworten an die Fortpflanzungsmedizin führe nur zu neuen Problemen.