Weihnachtswunder mit Franziskus
An Heiligabend vernahmen ein paar Hundert christliche Flüchtlinge im Nordirak eine Stimme von oben, die ihnen den Trost der Weihnacht zusagte: Sie seien "wie Jesus in der Nacht seiner Geburt", verjagt, verfolgt, ohne Herberge. Und gerade deshalb: Brüder und Schwestern Jesu, Kinder Gottes. Der da sprach, war Papst Franziskus am Telefon. Auf Vermittlung eines italienischen Senders hatte er die kleine Herde in einem Camp bei Erbil angerufen. "Ich umarme euch alle", sagte er.
Die Geste ist typisch für den Papst, der sich zuerst als Seelsorger versteht. Wenige Stunden vor der glanzvollen Christmette im Petersdom versicherte Franziskus den Heimatlosen an der kurdischen Grenze, an diesem Abend besonders an sie zu denken: "die Kinder bei euch, die toten, die ausgebeuteten Kinder" und an "die Alten, die ihr Leben gelebt haben und jetzt dieses Kreuz erleiden".
In der Predigt der Christmette ließ Franziskus das Thema der menschlichen Zuwendung auffallend leiser anklingen - als hätte er Scheu, die Feierlichkeit zu sehr zu stören. Aber gleich zweimal sprach er von dem "Gott, der in unser Kleinsein verliebt ist", und weiter ermutigte er, "die schwierigen Situationen und die Probleme des Menschen neben uns mitzutragen". Wer nur sachliche Lösungen suche, sei "vielleicht effizient"; vielleicht fehle ihm aber die "Glut des Evangeliums".
Die Welt von heute brauche mehr Zärtlichkeit - auch das sagte der Papst in der Heiligen Nacht. Da hatten die Kardinäle und Kurienleiter in den ersten Reihen des Petersdoms noch eine andere Rede im Ohr. Vor "spirituellem Alzheimer" und einem "Erwähltheitskomplex" hatte Franziskus seine Spitzenkräfte gewarnt. Lapidar riet er ihnen, einmal über den Friedhof zu gehen, um sich an ihre Zeitlichkeit erinnern zu lassen. Das war am Montag, beim gar nicht krippenseligen Weihnachtsempfang.
Lasterkatalog als Beichtspiegel
Seit alters her hat der Advent auch Bußcharakter, und Franziskus macht ernst mit dem Ruf zu Umkehr: Den Kurialen gab er einen Beichtspiegel von 15 "Krankheiten" an die Hand, ein Lasterkatalog, der durchblicken lässt, was der Papst im Argen sieht - und wie er sich Führungskräfte einer armen und dienstbereiten Kirche vorstellt.
So warnte er vor der "Seuche" des Glaubens an die eigene Unverzichtbarkeit, kritisierte einen Aktivismus, der Gottesmänner zu "Verwaltungsmaschinen" mache; er tadelte Rivalität und Schadenfreude an der Kurie, höfisches Schmeichlertum, verlogene Sittenstrenge. Ja, es gebe sogar Fälle, in denen Geistliche in einem "Paralleluniversum" ein "oft ausschweifendes Leben führen".
Schon das Neue Testament listet an über einem Dutzend Stellen Verhaltensweisen auf, mit denen man sich um die Hoffnung auf ewiges Heil bringt. Später stellten ägyptische Wüstenmönche Verzeichnisse solcher Todsünden zusammen. Es waren Checklisten für den Kampf gegen Dämonen - jene dunklen Mächte, die einen Asketen teils im täuschenden Gewand der Tugend vom evangeliumsgemäßen Leben abzuhalten trachten.
Zu den bekanntesten Theoretikern des Lasters zählt Evagrius Ponticus (345-399); er nannte acht Anfechtungen, die einem Mönch gefährlich werden können. Darunter sind - wie bei Franziskus - Eitelkeit, Habgier, Ruhmsucht und Trübsinn. Die Wollust des Wüstenvaters kehrt bei Franziskus als DoppellebenkAT wieder, und wo Evagrius vor Faulheit warnt, nennt der Papst äußerliche Geschäftigkeit - beides sind Formen derselben "Trägheit des Herzens".
Neue Namen mit Spannung erwartet
Anders als der übliche Dank für die gute Zusammenarbeit im vergangenen Jahr fand diese Papstrede ein gewisses Echo. Kurienkardinal Francesco Coccopalmerio stellte klar, die Liste der "15 Krankheiten" sei kein Ausdruck von Misstrauen gegenüber der Kurie, nur eine Hilfe zur Gewissenserforschung.
In der Weihnachtspause dürfen die so angeleiteten Geistlichen in sich gehen. Neben der inneren Läuterung geht im kommenden Jahr die strukturelle Erneuerung im Vatikan weiter: Ab dem 6. Februar tagt die neue Kinderschutzkommission unter dem Bostoner Kardinal Sean O'Malley, dann der Kardinalsrat für die Kurienreform, mit dabei Reinhard Marx. Am 14. und 15. Februar will Franziskus neue Kardinäle ernennen. Beobachter wie Kandidaten sind gespannt.