Kirchen dank Machtverlust bessere Friedensstifter
In der heutigen säkularisierten Gesellschaft können Kirchen wichtige Impulse zur Friedenssicherung geben, müssen dazu jedoch Mut und Fähigkeit zur Selbstkritik beweisen: Das war der Tenor einer hochkarätigen Expertenrunde, die am Freitag in der "Langen Nacht der Kirchen" in der Wiener Franziskanerkirche diskutierte. "Kontrollverlust? Religion und Gesellschaft und Europas Friedensvision nach 1945", so der Titel der Podiumsdiskussion.
Aus historischer Perspektive sei politisches Einmischen der Kirche für den Frieden nicht legitim, da sie etwa oft gegen Religionsfreiheit oder Gleichberechtigung der Geschlechter aufgetreten sei, befand der Politologe Anton Pelinka. Zudem gebe es eine "überraschend eindeutige" Positivbilanz bei der Friedenssicherung bei der säkularisierten, nicht aber bei der von der Kirche dominierten Gesellschaft. "Just in der Phase, in welcher die Menschen aus Kirchen wie auch Parteien und Gewerkschaften ausgezogen sind, ist der heutigen EU ihre längste andauernde stabile Friedenszeit gelungen." Belastend seien die einstigen unheilvollen Bündnisse zur Macht, während das heutige soziale Engagement der Kirchen allerdings "beeindruckend" sei.
Differenziert bewertete dies der evangelische Religionswissenschaftler Raoul Friedrich Kneucker: Etwa die "in Österreich europaweit einzigartig gute" Zusammenarbeit aller Religionsgemeinschaften sei ein wichtiger Friedensbeitrag, zudem hätten sich die Mehrheitskirchen parallel zu ihrem Rückzug aus der Macht stillschweigend dazu entschlossen, das Wort für die Stimmlosen zu ergreifen und Dinge mutig beim Namen zu nennen. "Irgendjemand muss das Wahre und Unangenehme aussprechen, da dies zur Stabilität beiträgt", so der Theologe. Friede dürfe man nicht nur begrüßen, sondern man müsse ihn erwerben und seine Vorbedingungen stets überprüfen.
Auf die Voraussetzungen kam auch die Wiener Pastoraltheologin Regina Polak zu sprechen, die vor friedensgefährdenden Tendenzen in Europa warnte: "40 Prozent in Deutschland und wohl auch in Österreich glauben, es gäbe 'nutzlose Menschen', und dass sich die Politik zu viel um sie kümmern würde. Dazu kommen Rassismen, Islamophobie und Menschenhass. Europa hat ein massives Problem mit dem Anderssein." Das Leben mit Unterschieden sei im Begriff "katholisch" zwar beinhaltet, die Umsetzung etwa gegenüber Muslimen oder Atheisten misslinge aber oft, so Polak. Hochreligiöse Menschen seien Studien zufolge eher autoritär, homophob und fremdenfeindlich.
Als Reaktion darauf riet die Religionsforscherin den Kirchen innere Selbstbesinnung, "jene religiöse Bildung, die Menschenfeindlichkeit entfernt", sowie auch eine bewusstere Stärkung der Zivilgesellschaft: Totalitäre Regime hätten laut Erkenntnissen Hannah Arendts jene Gemeinschaftsformen, die über die Familie hinausreichen, stets gleich in der Anfangsphase zu zerschlagen versucht, so Polak. Umgekehrt seien untereinander gut vernetzte, vielfältige Formen von Vergesellschaftung ein wesentlicher Bestandteil für die Friedenssicherung.
Kirchen könnten zur dieser Gemeinschaftsbildung und Vernetzung - auch durch ihre ausgezeichnete Infrastruktur - viel beitragen und "Lerngemeinschaften" fördern, die Antworten auf gesellschaftliche Entwicklungen suchen. Wertvoll wäre dies, da in der Gesellschaft speziell die Vernetzung von Gruppen oft nicht gelingen würde. Polak selbstkritisch: "Das zeigt sogar Facebook: Man verbindet sich selbst hier oft nur mit Gleichen, sucht Bestätigung im eigenen Sumpf."