Angst um "sichere Welt" schürt Fremdenangst
Die heutige "Agitation gegen Zuwanderer und Flüchtlinge" durch Strömungen wie "Pegida" ist Ausdruck einer tiefen Verunsicherung innerhalb der westlichen Welt. Kardinal Christoph Schönborn untermauerte diese seine These am Montag im "Kurier" mit der Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg, die zunächst von Stabilität sowie - auch durch das Ende des Kommunismus - von einem politischen und wirtschaftlichen Überlegenheitsgefühl geprägt gewesen sei.
Doch dies habe sich verändert, wies der Wiener Erzbischof hin: China sei an der Schwelle zur Wirtschaftsnation Nummer eins, an den Rändern Europas würde es "gefährlich brennen", der Westen scheine gegen Phänomene wie Boko Haram und IS machtlos zu sein. Fremdenangst sei vor diesem Hintergrund als Protest im Sinne von "Gebt uns unsere sichere Welt von damals zurück!" zu interpretieren, erklärte Schönborn.
Diese Ansicht äußerte der Kardinal im zweiten Teil eines "Kurier"-Interviews zum Thema Asyl; der erste war bereits in der Sonntagausgabe erschienen.
Auf die Frage, warum während der Bosnienkrise in Österreich deutlich mehr Flüchtlinge ohne derart heftige Reaktionen wie heute aufgenommen wurden, antwortete Schönborn: Die Bosnienkrise sei "als isoliertes Ereignis, noch dazu in unserer Nachbarschaft", wahrgenommen worden. "Da hilft man leichter, weil man denkt, dass das ja bald wieder zu Ende sein wird. Heute spüren die Menschen, dass die Flüchtlingsströme die Spitze einer Völkerwanderung sind."
"Hinschauen wirkt oft Wunder"
Nächstenliebe als "die hohe Schule des Herzens" falle in so einer Situation nicht immer leicht. Angst, Enttäuschung und Unsicherheit könnten Gründe sein, "warum das Herz verschlossen bleibt", so Schönborn. Der Kardinal wandte sich dagegen, Menschen, die sich bedroht fühlen, "pauschal Charakterschwäche zu unterstellen". Das beste Mittel gegen Verunsicherung und Angst sei unmittelbarer Kontakt mit Flüchtlingen. Wer von Angesicht zu Angesicht von Fremden ihre Geschichte anhört, ihre Not sieht, "der redet und handelt meist anders als der, für den die Asylwerber eine anonyme Masse, eine Projektionsfläche sind". Der Kardinal wörtlich: "Hinschauen wirkt oft Wunder." Das mache auch mit Fremden vertraut, "und Vertrautheit öffnet das Herz".
Die Kirche versuche, bei der Flüchtlingsunterbringung "mit gutem Beispiel voranzugehen, statt dauernd anderen vorzurechnen, was sie leisten sollten". Viele Pfarren und Klöster hätten bereits Quartiere zur Verfügung gestellt, laufend kämen neue Angebote dazu. "Leider bleiben viele Angebote auch ungenutzt, weil die Bürgermeister nicht wollen oder weil aufgrund einer Einzellage die mobile Betreuung nur schwer zu organisieren ist", sagte Schönborn. Da, wo wirklich einmal ein Pfarrhof leer steht, fehlten meist die nötigen Sanitäreinrichtungen. "Aber insgesamt wächst unser Platzangebot."