"Apostelin der Barmherzigkeit" mit Übersetzungsproblem
Barmherzigkeit ist im christlichen Verständnis die höchste Eigenschaft Gottes, das grundlegende Gesetz im Herzen des Menschen, sowie auch der Weg, der den Menschen zu Gott führt: Dieses von Papst Franziskus verwendete Schema geht laut dem Theologen Jozef Niewiadomski auf die Mystikerin Faustyna Kowalska (1905-1938) zurück. "Faustyna wurde von der systematischen Theologie bisher übersehen. Die von ihr aufgeworfenen Fragen sind jedoch aktuell: Bleibt die Hölle das letzte Wort? Oder: Wo sind die Grenzen der Barmherzigkeit Gottes?", so der Innsbrucker Dogmatiker im Interview mit "Kathpress".
Kowalska wird im Ankündigungsschreiben für das "Jubiläumsjahr der Barmherzigkeit" von Franziskus explizit erwähnt, wenn er an die "Heiligen und Seligen, die die Barmherzigkeit zur Mission ihres Lebens gemacht haben", erinnert. "In besonderer Weise denken wir an die große Apostelin der Barmherzigkeit, die heilige Faustyna Kowalska", heißt es im Schlussteil der Bulle "Misericordiae vultus". Kowalska sei berufen gewesen, "in die Tiefe der Göttlichen Barmherzigkeit einzutreten"; sie sei Fürsprecherin für ein Leben "in der Vergebung Gottes und im unverbrüchlichen Vertrauen auf seine Liebe", so der Papst.
Die Polin Kowalska trat 1925 in die Kongregation der "Schwestern der Muttergottes von der Barmherzigkeit" ein und war dort stets in Küchendiensten tätig, "da sie eine ungebildete Frau war", schilderte Niewiadomski. Ihr gesamtes Ordensleben bis zum Tod 1938 in Krakau litt sie an Tuberkulose, prägender waren jedoch insgesamt 54 Visionen, in denen sie Jesus, Maria, Heilige und Engel sah und 527 Offenbarungen erhielt. Ihr Tagebuch, das sie auf Ratschlag ihres Beichtvaters führte, berichtet u.a. vom Erhalt der Aufträge, die Barmherzigkeit Gottes zu verkünden, ein Bild Jesu malen zu lassen, den "Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit" einzuführen und einen Frauenorden zu gründen.
Niewiadomski zufolge war Kowalskas Botschaft ein Sprengstoff: "Sie kam genau in einer Zeit, in der Gerechtigkeit und normengeleitete objektive moralische Ordnung die Kirchenlehre bestimmten." Die Barmherzigkeit und damit auch Schwester Faustyna seien "derart gefährlich" gewesen, "dass sie von der Kongregation für die Glaubenslehre auf den Index der verbotenen Visionen und Schriften gesetzt wurde", so der ebenfalls aus Polen stammende Theologe. Erst im Krakauer Erzbischof Karol Wojtyla fand Kowalska posthum einen vehementen Fürsprecher, der eine Revision des Vatikan-Urteils erwirken konnte und die Ordensfrau - nun als Papst Johannes Paul II. - 1993 selig und 2000 auch heilig sprach.
Im deutschen Sprachraum sei die "Heilige der Barmherzigkeit" in weiten Bereichen in Misskredit gelangt, was Niewiadomski zufolge bedingt sei durch die Frömmigkeitssprache der Tagebücher, mit der nur sehr konservative Kreise etwas anfangen würden. "Eine Übersetzung ins 21. Jahrhundert wäre hier wichtig", so der Theologe. In anderen Kulturkreisen sei die Heilige und ihre Botschaft noch viel präsenter. "Etwa in Indonesien ist das auf Faustyna zurückgehende Jesus-Bild in katholischen Kirchen enorm präsent, und auch viele Lateinamerikaner pilgern zur 'Faustyna-Kirche' in Krakau-Lagiewniki. Gut möglich, dass sich Jorge Mario Bergoglio schon in Argentinien mit Kowalska intensiv beschäftigte." Vertieft dürfte dies im kommenden Juli beim Weltjugendtag in Krakau geschehen.
Elisabeth: Zeitlose Herausforderung
Zahlreiche weitere Figuren der gesamten Kirchengeschichte verdeutlichen andere Aspekte der Barmherzigkeit, die im am 8. Dezember beginnenden "Heiligen Jahr" verstärkt ein Richtungsweiser für das Christentum sein soll. Dazu gehört die in Ungarn geborene Landgräfin Elisabeth von Thüringen (1207-1231), die ihre Existenz am Hof zugunsten eines Lebens nach dem franziskanischen Armutsideal aufgab, ein Kloster und ein Hospital stiftete und die Bevölkerung während einer Hungersnot durch Vorräte der königlichen Kornkammer versorgte. Bereits vier Jahre nach dem Tod wurde sie infolge eines vom Deutschen Orden angestrebten Verfahrens heiliggesprochen gilt bis heute als Sinnbild tätiger Nächstenliebe.
Bruno Platter, der Hochmeister des Deutschen Ordens, bezeichnete seine Ordenspatronin Elisabeth gegenüber "Kathpress" als "äußerst moderne Heilige": Sie sei an die Ränder nicht nur der Gesellschaft, sondern auch des Denkens, der Konventionen und Einstellungen gegangen. Ihr "Herabsteigen" von der höchsten denkbaren Position zu den niedrigsten Diensten für Arme und Kranke, mit dem sich die Landgräfin die Verachtung ihrer Verwandten zuzog, zeige das Ausmaß barmherzigen Wirkens äußerst eindrucksvoll vor.
Konkreter und "auch schmutziger" Dienst sei bei der Landgräfin mit einer christozentrischen Frömmigkeit verbunden gewesen. "Wenn Papst Franziskus nun sagt, wir dürfen nicht Angst davor haben, schmutzig zu werden oder verbeulte Autos durch die holprigen Straßen zu bekommen, dann hat Elisabeth genau das getan", erklärte Platter. Zeitlos und eine Herausforderung für die Kirche sei auch die Schürze, die sich die Heilige aus Thüringen für ihre Armendienste umgebunden habe. Diese sei das "eigentliche, klassische liturgische Kleid der Kirche", so der Ordensobere.
Martin: Gottesgegenwart und Nächstenliebe
Eine "Ikone" christlicher Nächstenliebe gleich aus dem ersten Jahrtausend ist auch Martin von Tours (316-397), dessen 1.700-Jahr-Feiern derzeit anstehen. Der Sohn eines römischen Tribuns ließ sich 18-jährig taufen, begann nach langer Militärszeit ein Eremitenleben, war Missionar und schließlich Bischof. Gottesgegenwart und Barmherzigkeit sind für Janos Schauerman, Pfarrer von St. Martin im ungarischen Martins-Geburtsort Szomathely, die zentralen Eigenschaften des Heiligen: "Seinem Biografen Sulpicius Severus kann man entnehmen, dass Martin es schaffte, an jedem Ort in Gottes Gegenwart zu leben und dies auch für andere spürbar zu machen. Dazu kommt der Einsatz für Arme, Vernachlässigte und Obdachlose", so der Martins-Experte gegenüber "Kathpress".
Quelle: kathpress