Wenn einem die To-do-Listen in den Biergarten nachlaufen...
Er zählt gegenwärtig zu den Stars in der deutschen akademischen Welt: Der Jenaer Soziologe Hartmut Rosa. 2005 legte er mit seiner Habilitation "Beschleunigung" eine viel beachtete Analyse der "Veränderung der Zeitstrukturen der Moderne" vor; nun folgte das Nachfolgewerk, gleichsam als Antwort auf die ernüchternde Gesellschaftskritik verfasst: "Resonanz - Eine Soziologie der Weltbeziehung". Mit den Worten Rosas: "Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Antwort." In einem Interview mit der Zeitschrift "miteinander" erläutert Rosa seine Idee "resonanter Weltverhältnisse", die er als Antwort für eine ganze Generation dauergestresster Zeitgenossen versteht, denen buchstäblich noch in ihrer Freizeit die To-do-Listen in den Biergarten nachlaufen.
Zunächst skizziert Rosa darin den "Umschlagpunkt", an dem seiner Wahrnehmung nach die Zeitstrukturen der Moderne eine kritische, ja, destruktive Form angenommen haben: Es ist dies jener Punkt, von dem an gesellschaftliche Innovation, Optimierung und Beschleunigung nicht mehr das große Versprechen zu transportieren, "dass die Welt (...) eine bessere wird". Heute bestehe der Sinn dieser Beschleunigungsprozesse - gesellschaftlich wie wirtschaftlich - nurmehr darin, "den Status quo zu erhalten. Steigerung zum Zweck des Systemerhalts". Dies lasse sich unter dem Stichwort "rasender Stillstand" zusammenfassen, so Rosa.
Kritik an Entschleunigung
Das vollmundig plakatierte Zauberwort gegen diesen Trend lautet "Entschleunigung" - jedoch: die selbst verordneten Bremshilfen und Ausstiegs-Träume funktionieren nicht, zeigt sich Rosa überzeugt: "Ich halte es für eine große Illusion zu meinen, wir könnten alles so lassen, wie es ist, und einfach nur langsamer machen. Wachstum und Wettbewerbsverschärfung sind zwingend miteinander verknüpft und lassen sich nicht durch Meditation, wochenendliche Waldspaziergänge oder bewusstes Musik-Hören durchbrechen." Im Gegenteil: In dieser Art instrumentalisierte Entschleunigungstechniken und das Suchen nach immer neuen "Entschleunigungs-Oasen" drohe laut Rosa selbst zum Motor der Beschleunigung zu werden: "Diese Oasen der Entspannung vom rasenden Alltag, diese Phasen der Langsamkeit, verdanken sich rein der Logik der Beschleunigung und sie versetzen das Individuum in die Lage, diese Beschleunigungsprozesse im täglichen Leben zu ertragen."
Dabei spreche aus der Entschleunigung tatsächlich ein ernst zu nehmendes Bedürfnis, nämlich jenes nach "einer anderen Art, in der Welt zu sein, mit den Dingen und den Menschen in Kontakt zu treten". Dies sei es schließlich auch, was er mit dem Begriff der "Resonanz" zu umschreiben versuche, so Rosa. Die Menschen gierten heute geradezu danach, dass ihnen Welt nicht verstummt, dass sie einander nicht fremd werden und das Leben seinen intensiven Geruch nicht verliere. Wo die Welt sich verschließe, drohe der Burnout, "das Verstummen aller Resonanzachsen", so der Soziologe.
Keine vorschnelle religiöse Lesart
Rosa verwehrt sich indes gegen jede vorschnelle Identifikation religiöser Sinnstiftungsangebote mit seinem Thema der Resonanz: Es sei dies vielmehr eine "ganz säkulare Erfahrung, die auch religiös unmusikalische Menschen teilen können" - schließlich gehe es um die Sehnsucht "nicht nur nach gesellschaftlicher Anerkennung, sondern darum, den Panzer der Verdinglichung zu durchbrechen". Für manch einen Zeitgenossen könne gewiss der Gottesdienst ein Ort von Resonanzerfahrungen sein, räumte Rosa ein, insofern dort eine besondere Form des "In-Beziehung-Tretens zur Welt" zelebriert werde. Schließlich sei Resonanz keine Einbahnstraße, sondern lebe davon, dass "das Gegenüber zu mir spricht, mich anspricht, berührt" - wie dies gläubige Menschen etwa aus einem intensiven Gebetsleben kennen.
Doch Rosa wäre nicht jener Soziologe, der sich in der Tradition der Kritischen Theorie sieht, wenn er nicht am Ende auch eine gesellschaftskritische Spitze aufblitzen ließe: So sei die Demokratie "die politische Ausdrucksform der Resonanzsuche", insofern Demokratie bedeute, dass Menschen stets in der Gestaltung der Welt auf den Dialog mit anderen angewiesen bleiben. "Demokratie bedeutet dieses Versprechen: dass meine Stimme Gewicht hat, dass sie nicht verhallt." Wo dieses Versprechen nicht mehr trägt, wachse der Unmut und die Anfälligkeit für den Populismus, zeigt sich der Soziologe, der zugleich Leiter des renommierten Erfurter Max Weber-Kollegs ist, überzeugt.
Nichts anderes erlebe man derzeit im Aufstreben von "AfD" und "Pegida": Die Menschen bewege die Erfahrung, dass "herkömmlich Politik mir nicht mehr antwortet". Das "Angebot" der Rechtspopulisten sei jedoch nicht zielführend - denn es fördere nicht etwa Resonanz, sondern ziele auf ein "Stummstellen der anderen - der Ausländer, der Schwulen etc." - Auch gehe es ab diesem Zeitpunkt nicht mehr darum, dass die Stimme des einzelnen wieder neu gehört werde, "sondern nurmehr darum, dass sie aufgeht in dem einen großen, lauten Chor".
» Interview im Wortlaut auf miteinander.at
Quelle: kathpress