2. Globalisierung ist ein Zurück ins 19. Jahrhundert
Mit dem Aufruf zum Einsatz für einen sozial-ökologischen Wandel wurde am Donnerstagabend an der Wiener Wirtschaftsuniversität (WU) der Kongress "Gutes Leben für alle" gestartet. Orientierungsgebende Utopien seien dringend nötig angesichts des derzeitigen "Chaos", dessen Symptome die Kriege und Fluchtbewegungen seien, befand der Ökonom Andreas Novy in seiner Eröffnungsrede. "Die zweite Globalisierung droht uns ins 19. Jahrhundert zurück zu bringen", warnte Novy mit Blick auf die Ausbeutung von Ressourcen und Arbeitskraft, die Entgrenzung und das zu hohes Lebens- und Entscheidungstempo.
Freiheit für alle brauche demokratisch ausgehandelte Grenzen, die Machtbeschränkung globaler Player durch regionalisierte Wirtschaft, ein Schließen der Steueroasen sowie erweiterte Handlungsspielräume "von unten", stecke doch besonders in den Konsumentscheidungen Potenzial für Wandel. Es gehe um eine konkrete Utopie - das "gute Leben für alle" -, die der Wiener Experte als "Zivilisation, die nicht auf Kosten anderer lebt" umschrieb. Umsetzbar sei es, wenn als Imperativ gelte: "Lebe so, dass dein Lebensstil verallgemeinbar ist".
Das Prinzip der "Veränderung von unten" sei seit dem 19. Jahrhundert auf vielen Ebenen geglückt und habe zu den heutigen Grundrechten geführt, sagte Erich Foglar, der Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB), in einer Podiumsdiskussion. Aus seiner Sicht seien die Einkommen und die sinnstiftende Arbeit ausschlaggebend für "gutes Leben". Als besondere Gefahr bezeichnete Foglar die "Machtübernahme durch Facebook und Co" infolge der Digitalisierung. Novy regte hier als möglichen Ausweg die Schaffung europäischer Pendants zu Facebook, AirBnb und Uber im öffentlichen Eigentum und mit verbessertem Datenschutz an.
An der dreitägigen Diskussionsveranstaltung an der WU Wien mit 1.100 Teilnehmern sind zahlreiche kirchliche Organisationen mit Workshops und Vorträgen beteiligt, darunter die Katholische Sozialakademie (ksoe), die Dreikönigsaktion (DKA), die Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz für internationale Entwicklung und Mission (KOO), das Welthaus Graz oder die NGO-Plattform AG Globale Verantwortung. Ziel der Veranstaltung ist es, Initiativen zu vernetzen, Diskussionen anzuregen, Best-practice-Beispiele auszutauschen und damit auch Impulse sowie konkrete Forderungen an die Politik zu richten.
Parallel zur Krise von Globalisierung und Marktwirtschaft, die sich in Protektionismus, neuem Nationalismen, Monopolen und schlechter Lohnsituation vieler Menschen zeigt, erlebt nach Einschätzung von Daniel Bacher und Herbert Wasserbauer (beide DKA) momentan auch die Zivilgesellschaft eine schwierige Zeit: "NGOs und Aktivisten werden in vielen Ländern kriminalisiert und zurückgedrängt, teils sogar mit Gewalt, und ihre Mitsprache sinkt", so die beiden Experten für Anwaltschaft gegenüber "Kathpress". Doch selbst in Österreich gebe es bei der Teilhabe der Bürger und bei Initiativen von unten noch "viel Potenzial nach oben", es werde "zu viel Politik für die Menschen statt mit ihnen" gemacht.
Als "Hoffnungszeichen" am Weg zum guten Leben für alle wertete Bacher dennoch die Klimadebatte wie auch die Nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen (SDGs): Bereits der Gedanke, dass Weltziele nationale Umsetzung in allen Ländern benötigten, zeige ein Umdenken an. "Wir können nicht länger nur als Financier für Probleme im Süden auftreten, sondern müssen Verantwortung für das eigene Verhalten übernehmen - etwa durch ökologische Ernährung, Ressourcenschonung, neue Verkehrskonzepte, die Energiewende, 'grüne Wirtschaft' oder gerechtere Verteilung von Arbeit." Eine neue große Leitlinie sei dabei die "Deglobalisierung", bei der durch Stärkung lokaler Initiativen Kommunen wieder handlungsfähiger werden sollen.
Die Kirche liefere in dieser Diskussion durch die Papst-Enzyklika "Laudato si" einen wichtigen Beitrag, befand Wasserbauer. Das Papstschreiben werde in der NGO-Szene "als Beispiel für die Wahrung des Überblicks, für das Fragen nach dem Grund heutiger Probleme wahrgenommen und gesehen", so seine Erfahrung. Es gebe ein wachsendes Bewusstsein auch von nicht-kirchlichen Akteuren dafür, "dass die Sinnentleerung und spirituelle Leere eines der Grundübel der Gesellschaft ist". "Laudato si" schlage somit in die "richtige Kerbe" und sollte deshalb auch kirchenintern weitere Verbreitung und Bekanntschaft erfahren. Entsprechend wird die Enzyklika auch bei mehreren Programmpunkten des "Gutes Leben"-Kongresses angesprochen.
(Infos: http://www.guteslebenfueralle.org)
Quelle: kathpress