"Gewisse Grundzufriedenheit aber noch viele Baustellen"
"In Summe gibt es eine gewisse Grundzufriedenheit aber auch relativ viele offene Baustellen": Diese erste Bilanz hat der Linzer Diözesanbischof Manfred Scheuer knapp ein Jahr nach seinem Amtsantritt in Linz gezogen. Es sei auch 13 Monate nach Amtsantritt ein "erstes Herantasten" und der "Beginn eines Weges". Arbeitsabläufe, Entscheidungsfindungen und Machtkonstellationen wahrzunehmen, zu durchschauen und anders anzusetzen, gehe nicht so schnell, so Scheuer in einem Interview in der Oberösterreich-Ausgabe des "Kurier".
Baustellen gebe es etwa noch bei Personalfragen und Pfarrbesetzungen. Offen sei auch die Frage, wie sich die kirchliche Struktur weiterentwickle und wie es im Pfarrgemeindeleben und in den anderen Orten kirchlicher Vollzüge weitergehe. Eine offene Baustelle sei auch die Bildungslandschaft, hier fordere vor allem die neue Lehrerausbildung.
Scheuer hat in den letzten 13 Monaten den normalen Rhythmus eines Kirchenjahres, eines Arbeitsjahres durchgemacht und "zu den meisten Gruppen, Regionen, Interessensvertretungen und Parteien Kontakt aufgebaut". Verlassen könne er sich auf "eine sehr gute" Mannschaft, die Ansprechpartner für jene Menschen sein sollen, "die mit mir nicht können". Hier sei er noch in der "Phase von Versuch und Irrtum. Es braucht für mich noch viel Energie, Zeit und Aufmerksamkeit, wie manche Abläufe und Konflikte bearbeitet werden".
Keine ausgemachte Sache sei auch der Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen. Das sei ein Bereich, wo es "Lösungen schlechthin" nicht gebe. Von daher ist er Papst Franziskus dankbar, "dass er das nicht per Dekret gemacht hat, sondern einen langen Prozess des Wahrnehmens und Hinhörens eingeleitet hat". Sicher ist: "Es geht nicht um Urteilen und um Abkanzeln, sondern um das Beistehen, darum, dass die Menschen wachsen können". Schließlich lebe "kaum jemand die perfekte Ehe".
In Linz laufe gerade der Versuch, gezielt Seelsorgerinnen auszubilden, denn gerade, wenn eine Ehe auseinandergehe, brauche es jemanden, der die Betroffenen trägt. Er als Bischof könne nicht entscheiden, "dem erlaube ich es und dem anderen nicht". Das müsse viel mehr auf der Ebene der Gewissensbildung und Verantwortung laufen, "wo es eine gute Begleitung und ein Wohlwollen braucht und nicht einfach Verbote". Als Vorbild nimmt sich Scheuer eine Aktion aus den 1980er Jahren. Da habe man versucht,"im Sinne der Begleitung der Einzelnen unter bestimmten Konstellationen den Empfang der Kommunion zu erlauben".
Dass Religion zum Minderheitenprogramm wird, glaubt Scheuer nicht. Das sei eine Theorie der 1970er Jahr und längst revidiert. Müsste die Gesellschaft auf das Potenzial der Religionen verzichten, würde sie als ganze Schaden nehmen. "Das betrifft die Spiritualität und die Trostfunktion im individuellen Bereich." Religion sei auch wichtig für die Werte- und Rechtsdiskussion. "Wenn Grundrechte keine Wertebasis mehr hätten, wäre es fatal." Bis dahin, dass Religion auch eine Kulturfrage sei.
Quelle: kathpress