Flüchtlingsstudie zeigt: Es flüchten die Gebildeten
Österreich war 2015 mit gut 88.000 Asylbewerbern das viertgrößte Aufnahmeland innerhalb Europas. In den meisten Fällen fehlten aber fundierte Informationen über die Flüchtlinge. Wissenschaftler des "Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital" haben nun eine erste Auswertung jener Daten veröffentlicht, die sie - in der europaweit ersten derartigen sozialwissenschaftlichen Studie - im November und Dezember 2015 erhoben haben.
Insgesamt wurden rund 500 Flüchtlinge in sieben Unterkünften in und um Wien auf Arabisch, Farsi/Dari und Englisch befragt. Da die Befragten auch Auskünfte zu ihren (Ehe-)Partnern und Kindern gaben, konnten Daten über fast 1.000 nach Österreich Geflüchtete gesammelt werden. Auf Bildung und berufliche Qualifikation wurde in der Befragung ein besonders starker Fokus gelegt, "gelten diese doch als zentral für eine Integration in das neue Heimatland", so das Informationsblatt "Demografische Forschung Aus Erster Hand".
Die Auswertungen des Wittgenstein Centres ergaben, dass die Geflüchteten ein "weit höheres Bildungsniveau haben als die durchschnittliche Bevölkerung in ihren Herkunftsländern". Zwischen Frauen und Männern zeige sich kein signifikanter Unterschied in Bezug auf das Bildungsniveau. Fast die Hälfte der Befragten aus Syrien und dem Irak hätten eine Sekundarbildung erhalten. Sieben Prozent der syrischen Flüchtlinge hätten keine Schule oder lediglich ein Grundschule besucht - in Syrien macht diese Gruppe beinahe 50 Prozent aus.
Dieses Muster bilde sich laut der Erhebung auch bei den Afghanen ab: 30 Prozent der befragten afghanischen Flüchtlinge gaben an, keine formale Schulbildung zu haben. In Afghanistan selbst sind es 80 Prozent. Die gut Gebildeten, also jene Gruppe, die mindestens einen postsekundären Schulabschluss hat, machten unter den geflüchteten Syrern 27 Prozent und unter den Afghanen elf Prozent aus: Im jeweiligen Herkunftsland liege die Quote nur bei zehn beziehungsweise drei Prozent.
Diese "positive Selektion" durch Migration sei in der Forschung gut dokumentiert: Wer höher gebildet ist, verfüge in der Regel über mehr sozioökonomische Ressourcen und sei deshalb mobiler. Weniger gebildete und demzufolge ärmere Menschen könnten die hohen Kosten einer Flucht häufig nicht aufbringen: DiPAS fand heraus, dass fast jeder Dritte - nach eigenen Angaben - mehr als 4.000 US-Dollar pro Person für die Flucht leisten musste.
Etwa zwei Drittel der Befragten gaben an, eine Arbeit suchen zu wollen, sobald ihr Asylantrag genehmigt worden ist. Knapp ein Drittel möchte Schule beziehungsweise Studium fortführen. Die meisten Flüchtlinge gingen davon aus, dauerhaft in Österreich zu bleiben, lediglich ein Viertel plane eine Rückkehr ins Herkunftsland, darunter vor allem Syrer.
Religiosität sinkt mit steigender Bildung
DiPAS hatte sich laut "Demografische Forschung Aus Erster Hand" zum Ziel gesetzt, "nicht nur Köpfe zu zählen, sondern herauszufinden, was in diesen Köpfen steckt". Die Projektleiterin Isabella Buber-Ennser von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften untersuchte mit ihrem Team auch die Werteinstellungen und die Religiosität der Flüchtlinge. Hier, bei der Einschätzung der eigenen Religiosität, war ein deutlicher Geschlechterunterschied auszumachen.
Frauen sehen sich als deutlich religiöser. Auf einer Religiositätsskala von eins bis zehn hätten die Frauen einen durchschnittlichen Wert von sechs, Männer einen von 4,7 erreicht. Österreicher derselben Altersgruppe würden sehr ähnliche Werte aufweisen. Im Einklang mit bisherigen Studien konnte festgestellt werden, dass Religiosität mit steigender Bildung abnimmt. Syrische und irakische Flüchtlinge gaben seltener als andere an, sich als sehr religiös einzuschätzen.
Interessante Ergebnisse zeigte der Teil der Befragung, der sich mit den Werten und Einstellungen der Geflüchteten - unter anderem zur Geschlechtergerechtigkeit - befasste: Entgegen verbreiteter Annahmen lehnen sowohl männliche als auch weibliche Befragte traditionelle Einstellungen eher ab. Auch unter den sehr religiösen Flüchtlingen würden eher egalitäre Ansichten zum Geschlechterverhältnis vorherrschen. Gleichwohl stimmten weit mehr Flüchtlinge der Aussage "Wenn Jobs knapp sind, sollten Männer den Vorrang haben" zu als Österreicher oder Deutsche. Dennoch sei die Zustimmung merklich geringer aus als die der Bevölkerung arabischer Länder ausgefallen.
Auf 100 Flüchtlinge - Erwachsene und Kinder - kommen laut der Flüchtlingsstudie "Displaced Persons in Austria Survey", kurz "DiPAS", maximal 38 Familienzuzüge, wobei das überwiegend minderjährige Kinder, nämlich 24, beziehungsweise in geringerem Ausmaß Ehepartner (14) wären. 39 Prozent der Befragten sind verheiratet, drei Prozent verwitwet oder geschieden und 23 Prozent ledig. 30 Prozent sind minderjährig, weitere fünf Prozent entfallen auf erwachsene Kinder, die mit ihren Eltern geflüchtet sind.
Deutschland präsentierte inzwischen ähnliche Ergebnisse: Laut einer Befragung des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) bei mehr als 2.300 geflüchteten Erwachsenen gehen die überraschend hohen Bildungslevel mit positiven Einstellungen gegenüber westlichen Werten wie Demokratie oder Frauenrechten einher.
Quelle: kathpress