Experten: Suizid-Verhinderung braucht jemanden, der zuhört
Die wichtigste Prävention von Suizid sind Menschen, die sich für eine gefährdete Person Zeit nehmen, ihr zuhören und ihr Mut geben: Das haben Experten am Freitag in Linz anlässlich des Welttages der Suizidprävention (10. September) dargelegt. Auf vorschnelle Ratschläge sollte man verzichten, viel wichtiger sei das "Mit-Aushalten der schwierigen Lebenssituation" und das motivieren zu weiteren Schritten, berichtete die Leiterin der Telefonseelsorge Oberösterreich, Silvia Breitwieser, vor den Journalisten über ihre Erfahrungen.
Die Probleme, mit denen sich die Anrufer bei der Telefonseelsorge (142) tagtäglich melden, reichen von Depressionen über Suchterkrankungen bis hin zu Verlusterfahrungen. Oftmals befänden sich die Betroffenen in einer Krise, die sie nicht mehr mit eigenen Ressourcen bewältigen könnten, erklärte Breitwieser.
Dann braucht es ein ganz konkretes Gegenüber, das mir Mut zuspricht, das mir Würde und Wert gibt, das zuhört, sich Zeit nimmt, Hoffnung vermittelt und mir mögliche Ressourcen aufzeigt, die ich selbst nicht mehr sehe.
1.198 Österreicher nahmen sich im Jahr 2016 das Leben, allen voran Menschen über 70 Jahre, bei denen das Suizidrisiko zehnmal höher sei als beim Rest der Bevölkerung, sagte der Wiener Präventionsforscher Nestor Kapusta. Das Risiko eines Suizidversuchs sei hingegen bei jungen Menschen zehnmal höher. Frauen versuchen bis zu zehnmal öfter als Männer, sich umzubringen, wogegen Männer dreimal häufiger an Suizid versterben. Auch in ländlichen, sozio-ökonomisch schlechter gestellten Regionen sei das Risiko hoch, wobei der ständige Ausbau sozialer Einrichtungen und ein dichteres Netzwerk an Psychologen, Therapeuten und Psychiatern wesentlich dazu beigetragen hätten, dass die Suizidrate zurückging.
Suizid sei ein Tabuthema, das dennoch mehr Menschen als angenommen beschäftige, hob Kapusta hervor: Bei Befragungen geben 30 Prozent der Menschen an, mindestens einmal im Leben schon an Selbsttötung gedacht zu haben. Kritik äußerte der Mediziner an der Vorgangsweise mancher Gruppen, Suizid mit Selbstbestimmung und Würde zu assoziieren. Vielmehr sei das Gegenteil der Fall: "Suizidale Menschen stehen dermaßen unter Druck, dass ein freies Handeln nicht mehr möglich ist." Bei 70 bis 90 Prozent der Fälle liege eine psychische Erkrankung vor, andere Gründe seien chronische Erkrankungen, Konflikte mit Partner oder Eltern, Lebenskrisen, Isolation, Mobbing und das Gefühl der Ausweglosigkeit.
Strikt warnte der Experte jedoch davor, Umstände für Suizid zu vereinfachen oder Suizidtote in der Medienberichterstattung sogar zu glorifizieren. Wichtig sei ein sensibler Umgang: "Es gibt nicht die eine Ursache, die zum Suizid geführt hat, die Sachlage ist viel komplexer. Durch die Reduzierung auf einen Grund - etwas eine gescheiterte Ehe - entsteht oft der Eindruck, der Suizid sei unausweichlich und schlüssig gewesen. Dies wiederum verleitet Suizidgefährdete rascher zur Identifizierung", so Kapusta. Hilfreich sei dagegen, medial Personen zu Wort kommen zu lassen, die schildern, wie sie bei Suizidgefährdung Hilfe gesucht und die Krise gemeistert hätten, betonte der Experte.
Über Formen der Entlastung suizidgefährdeter Menschen sprach Josef Lugmayr vom diözesanen Beratungszentrum "beziehungleben.at" der Abteilung Ehe und Familie im Linzer Pastoralamt. Ein Problem sei beim Thema Suizid die Hilflosigkeit des Umfelds, da es bei Angehörigen meist große Beklemmung auslöse. Äußerten Betroffene ihre Suizidgedanken offen, versuchten sie oftmals, davon abzulenken oder es auszureden, woraufhin sich Betroffene häufig unverstanden fühlten und zurückzögen. Ein Schritt aus der Isolation, der Betroffene wie auch Angehörige entlaste, sei der Kontakt mit Beratungseinrichtungen. Hier sei es möglich, mit geschultem Personen zu reden und erste Maßnahmen zu erarbeiten.
(Infos: www.beziehungleben.at, www.telefonseelsorge.at)
Quelle: kathpress