Im Zeichen des "Projekts Europa"
Debatten über das "Projekt Europa" kommen selten ohne Verweis auf die Bedeutung der Religion in Geschichte und Gegenwart des Kontinents aus. Doch ist Religion tatsächlich das richtige Gefäß, um Träume, Hoffnungen und Werte zu transportieren? Deutliche Zweifel daran meldete der Frankfurter Theologe Knut Wenzel bei seinem Vortrag am zweiten Tag der heurigen "Salzburger Hochschulwochen" an. Für Europa sei nicht die Frage nach der Religion entscheidend, sondern vielmehr die Frage nach der Zukunft des Glaubens, so Wenzel: Schließlich sei es der Glaube und nicht die "bergende Hülle der Religion", der die Menschen zutiefst berühre.
Dieser Glaube sei letztlich ein "melancholischer" Glaube, so der Theologe weiter, da er zwar eine Hoffnung transportiere, wie die Welt sein könne; diese Hoffnung sei jedoch immer schon von Zweifeln durchkreuzt. Existenziell, also das Individuum unmittelbar berührend, werde dieser Glaube dort, wo er das Individuum nicht etwa in Sicherheit und Ruhe belasse, sondern zu "Unruhe und Aufbruch" animiere, zum "risikohaften Gang in Bloßheit", wie es der Theologe formulierte.
Die "Salzburger Hochschulwochen", die noch bis 3. August dauern, stehen heuer unter dem Titel "Europa - Entgrenzungen". Vortragende sind u.a. die Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak, der Islamwissenschaftler Nicolai Sinai, die Politologin Sonja Puntscher-Riekmann und der Religionssoziologe Karl Gabriel. Den Abschluss der Hochschulwoche bilden ein Festgottesdienst mit Erzbischof Franz Lackner am 3. August um 8.30 Uhr im Salzburger Dom und der anschließende Festvortrag des früheren tschechische Außenministers Karel Schwarzenberg. |
Neben Wenzel setzte auch die Berliner Politikwissenschaftlerin und Migrationsforscherin Maria do Mar Castro Varela ihren Vortrag fort. Darin skizzierte sie die Quellen des europäischen Projekts nicht nur im Blick auf positive Werte, sondern ebenso im Blick auf die Negativ-Geschichte des Bösen, die mit Europa verbunden wird. Stichworten wie "Frieden", "Solidarität" und "Zivilisation" stehe in der europäischen Geschichte und Gegenwart immer auch "Gewalt", "Barbarismus" und "Ausgrenzung" entgegen. Das "Projekt Europa" sei daher nicht leicht zu fassen, sondern gleiche einem "Gespenst, welches uns heimsucht und um den Schlaf bringt". Notwendig sei laut Castro Varela ein "neuer Humanismus".
Eröffnet wurden die heurigen "Salzburger Hochschulwochen" am Montag, 28. Juli, vom Salzburger Erzbischof Franz Lackner. In seinen Begrüßungsworten unterstrich Lackner, dass der "Diskurs über Grenzen" und deren Überwindung heute "überlebenswichtig" sei. Die Bedeutung des Themas demonstrierte Lackner mit einer biografischen Anmerkung: So sei er in der Südoststeiermark mit der Grenze zu Slowenien aufgewachsen: "Mir war aber lange Zeit überhaupt nicht bewusst, dass auf der anderen Seite auch Menschen wohnen", erzählte er. So habe er auch nie Slowenisch gelernt - "keine Entgrenzung, sondern eine Begrenzung".
Bezugspunkt sowohl für die Ausführungen Erzbischof Lackners als auch für die Einleitung des Theologen und Obmanns der Hochschulwoche, Gregor Maria Hoff, war der Ausbruch des Ersten Weltkriegs auf den Tag genau vor 100 Jahren. Dieses Datum verdeutliche die Brisanz der Frage nach der Zukunft und bleibenden Relevanz des "Projekts Europa", so Hoff. Schließlich müsse man sich fragen, ob die "imperiale Logik des 20. Jahrhunderts" heute wirklich "an ein Ende gekommen" ist, und inwiefern die "Fragilität der Friedensschwüre" Europa belaste.
Theologischer Preis an Brüderpaar Theobald
Der alljährlich vergebene Theologische Preis geht heuer an ein Brüderpaar - die in Köln geborenen Theologen Michael Theobald und P. Christoph Theobald, Neutestamentler in Tübingen bzw. Dogmatiker in Paris.
Der Jesuit Christoph Theobald wurde 1946 in Köln geboren und studierte katholische Theologie in Bonn und Paris. 1978 trat er dem Jesuitenorden bei. Er gilt als einer der führenden Theologen Frankreichs mit den Schwerpunkten Geschichte der Exegese und Dogmengeschichte, Christologie und Phänomenologie. Sein Bruder Michael Theobald, geboren 1948 in Köln, studierte katholische Theologie in Bonn und Münster. Seit 1989 ist er Professor für Neues Testament an der Universität Tübingen. Er hat seit 2009 den Vorsitz des Katholischen Bibelwerks in Stuttgart inne.
Der Theologische Preis der Hochschulwochen wird seit 2006 vergeben.
Unter den Trägern früherer Auszeichnungen sind der emeritierte Kurienkardinal Walter Kasper, der katholische Fundamentaltheologe Johann Baptist Metz, der evangelische Kirchenhistoriker Christoph Markschies und der Erzbischof von Chieti-Vasto in Italien, Bruno Forte.
Parallel zur Hochschulwoche findet in diesem Jahr zum zweiten Mal die "Salzburger Religionstriennale" statt. In Kooperation mit dem Fachbereich "Systematische Theologie" der Universität Salzburg arbeiten junge Wissenschaftler aus ganz Europa zu Fragen aus Religion, Kultur, Politik und Identität. Heuer widmen sie sich der politischen Geschichte und Gegenwart der Religionen in Europa.
Webtipp: www.salzburger-hochschulwochen.at