Versöhnungsbund: 100 Jahre für Gewaltfreiheit
Friedensaktivisten aus aller Welt versammeln sich ab Freitag im baden-württembergischen Konstanz zu einem internationalen Friedenskongress. Anlass ist die Gründung des Internationalen Versöhnungsbundes (IFOR) vor 100 Jahren - unmittelbar vor Beginn des Ersten Weltkriegs. Eine Reihe von Galionsfiguren der internationalen Friedensbewegung wie die Österreicherin Hildegard Goss-Mayr oder die Friedensnobelpreisträger Mairead Corrigan-Maguire und Adolfo Perez-Esquivel nehmen an dem dreitägigen Jubiläumstreffen mit Podiumsgesprächen, Ausstellungen und Workshops teil. Die Jubiläumstagung ist gleichzeitig Auftakt zu einer Begegnungs- und Friedenswoche und einem internationalen Jugendcamp, die bis 10. August dauern.
Bei der Auftakt-Pressekonferenz der Organisatoren am Donnerstag rückten die aktuellen Konfliktherde im Nahen Osten und der Ukraine in den Mittelpunkt. Der deutsche Nahost-Experte Clemens Ronnefeldt richtete dabei im Namen des Versöhnungsbundes einen Appell an Israel und die Hamas, das aktuelle Blutvergießen zu beenden und die gegenseitigen Beschüsse sofort einzustellen. Ronnefeldt sprach sich unter anderem auch für einen Stopp von Waffenlieferungen an Israel aus und forderte eine Aufhebung der Blockade des Gazastreifens.
Hinsichtlich der Ukraine warnte Ronnefeldt davor, "weiter an der Eskalationsschraube zu drehen". Die OSZE müsse die Vermittlung in dem Konflikt übernehmen.
Gründung beim Weltkriegsausbruch
Der gewaltfreie Einsatz gegen Unrecht und Krieg und das Einstehen für zivile Konfliktlösungen bildet seit 100 Jahren den Kern des Versöhnungsbund-Engagements. Die Wurzeln von IFOR gehen auf die "1. Internationale Konferenz der Kirchen für Frieden und Freundschaft" zurück, die Anfang August 1914, wenige Tage vor Beginn der ersten Kampfhandlungen des Ersten Weltkriegs, in Konstanz stattgefunden hatte. Durch den Kriegsausbruch musste die Konferenz abgebrochen werden, doch vereinbarten die Teilnehmer bei der Abreise die Gründung eines Freundschaftsbundes der Kirchen. In ihren Ländern wollten sie sich trotz des Kriegs gegen Hass und Militarisierung zu engagieren.
Im Wortlaut...
Walter Buder über den Versöhnungsbund |
In den Augusttagen 1914 fieberten die Nationen Europas ihrem großen ersten Krieg entgegen. Die Politik hatte nichts ausgelassen, um ihn vorzubereiten. Aus Pflugscharen wurden Kanonen geschmiedet und Menschen - zu Soldaten gemacht - waren deren Futter. Für Gott, das Vaterland und den Kaiser (oder König) lohne es sich zu sterben, war die Devise. Selbst die geistliche Macht der Bischöfe und Priester stellte sich in den Dienst der Kriegsfurie und segnete die Waffen wie die opfer- und gewaltbereiten Krieger. Kriegserklärungen waren ein Grund zum Jubel, in dem das flackernde Menetekel des Krieges an der Wand der Zeit bedeutungslos schien.
Friedensbotschaft Christi
Zur selben Zeit tagte in Konstanz am Bodensee eine internationale Konferenz von Christen verschiedener Konfessionen. Sie waren überzeugt, dass Krieg zutiefst und zuinnerst dem Geist Jesu Christi zuwider steht. Der Kriegsausbruch erzwang zwar den Abbruch des Treffens, doch ein Same des Friedens war gelegt.
Henry Hodgkin, ein britischer Quäker, und der deutsche Lutheraner Friedrich Siegmund Schulze besiegelten per Handschlag, im drohenden Krieg nicht gegeneinander zu kämpfen und somit der Friedensbotschaft Christi treu zu bleiben. Das gilt als die Geburtsstunde des Internationalen Versöhnungsbundes (IVB). Man schrieb den 3. Juli 1914. Am Tag darauf erklärte England Deutschland den Krieg. Die Wiege des "Babys" stand 1915 in England und den USA. Die Zweige aus zehn Ländern schlossen sich 1919 zum Internationalen Versöhnungsbund zusammen. Inmitten des Kriegstaumels jener Tage findet sich auch der Auftakt zu den ersten "100 Jahre(n) für Gewaltfreiheit", wie das Motto der Konstanzer Gründungsversammlung lautete.
Mit den "Waffen des Geistes"
Der Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit geschieht - damals wie heute - auf der Basis einer persönlichen, humanistisch und/oder spirituell begründeten, Entscheidung für den Weg aktiver Gewaltfreiheit. Diese Grundhaltung wird vom IVB durch (Aus-)Bildung in Praxis und Theorie vermittelt. Nahe an den alltäglichen Konflikten, zielt diese kontinuierliche Arbeit darauf ab, Menschen für den Weg der Friedfertigkeit starkzumachen.
Nicht "mit den Wölfen zu heulen", sondern die eigene Stimme zu finden, ihr zu vertrauen und sie zu erheben, das bedeutet, sich im pro-aktiven Widerstehen zu üben: für eine aktive, gewaltfreie Friedenspolitik in Österreich; für die Abschaffung des Bundesheeres (fast 3.000 Österreicher/innen haben die IVB-Petition unterstützt); für ein Verbot von Nuklearwaffen, für Abrüstung, gegen Waffenhandel. Die Begleitung gewaltfreier Aktionen und Initiativen in Kolumbien oder Israel/Palästina, wo Menschen nur mit den "Waffen des Geistes" um gerechte Lösungen oder Menschenrechte kämpfen. In den Ländern Ex-Jugoslawiens begleiten wir langwierige, schwierige und schmerzliche Prozesse der Versöhnungsarbeit. Kooperationen und Projektpartnerschaften mit anderen NGOs gehören zum "Alltag".
Versöhnung der Kulturen
Die entscheidende, lebendige Mitte des Engagements im IVB liegt im Glauben, "dass der Gewaltlosigkeit und der Versöhnung der Kulturen die Zukunft gehört". In völliger Übereinstimmung mit einer "Wolke der Zeugen" (Hebr 12,1) aus seiner Tradition - darunter Bertha von Suttner, Mahatma Ghandi, Martin Luther King, Mairead Corrigan-Maguire, Adolfo Pérez-Esquivel, Jean und Hildegard Goss-Mayr - sucht der IVB diesem Erbe in Tat, Wort und Wahrheit zu entsprechen.
Um es mit den Worten aus Stephan Hessels Buch "Empört Euch!" zu sagen: "Wir müssen den Weg der Gewaltlosigkeit gehen lernen" und "für einen Aufstand der Friedfertigkeit" bereit sein. (...) Es ist eine Botschaft der Hoffnung, dass die Gesellschaften unserer Zeit Konflikte durch gegenseitiges Verständnis in wachsamer Geduld werden lösen können - auf der Grundlage unabdingbarer Rechte, deren Verletzung, von welcher Seite auch immer, unsere Empörung auslösen muss."
Quelle: Zeitschrift "miteinander" (Ausgabe 7/8-2014) |
Daraus entwickelte sich der Internationale Versöhnungsbund. Ihm gehören heute mehrere Zehntausend Menschen in mehr als 60 Ländern weltweit an, die sich aufgrund ihres religiösen Glaubens oder ihrer humanistischen Grundhaltung zur Förderung einer "Kultur der Gewaltfreiheit" bekennen.
Umgesetzt wird das durch Schulungen in gewaltfreien Methoden des Widerstands und Friedensarbeit, durch Einsatz gegen Rüstung, Krieg, Gewalt, Unterdrückung und Ungerechtigkeit, durch Versuche der Aussöhnung zwischen verfeindeten Konfessionen und Völkern. Dazu entsendet der Bund auch entsendet Missionen in Konfliktgebiete wie Nahost oder Kolumbien. Aktiv war die Vereinigung auch bei der Bewältigung der Militärdiktaturen in Lateinamerika, bei der "Rosenkranz-Revolution" zur Beendigung des Marcos-Regimes auf den Philippinnen oder in der Versöhnungsarbeit in Zentralafrika und auf Madagaskar.
Pionierarbeit leistete der Versöhnungsbund aber auch im Kampf um das Recht auf Wehrdienstverweigerung. Innerhalb der Kirchen trug er viel zu einer Infragestellung der Lehre vom "gerechten Krieg" bei.
Seit den 1970er-Jahren hat der Versöhnungsbund Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen. Zu den bekannten IFOR-Mitgliedern gehören auch Martin Luther King, Joan Baez und der thailändisches Alternativ-Nobelpreisträger Sulak Sivaraksa. Ab den 1950er Jahren prägten der Friedensaktivist Jean Goss (1912-1991) und seine Ehefrau Hildegard Goss-Mayr die Arbeit des Versöhnungsbundes. Die 84-jährige Goss-Mayr ist bis heute Ehrenpräsidentin der Vereinigung.
"Herausforderung Gewaltfreiheit"
Einer der Höhepunkte des Konstanzer Friedenskongresses unter dem Motto "100 Jahre für Gewaltlosigkeit" ist am kommenden Freitag ein Festakt unter dem Titel "Herausforderung Gewaltfreiheit" in der evangelischen Lutherkirche in Konstanz. Im Fokus der zahlreichen Workshops stehen etwa Konfliktregionen wie Nahost, Sri Lanka oder Kongo. Thematisiert werden unter anderem aber auch die Zukunft der Entwicklungsbemühungen in Afrika nach den UN-Millenniumszielen oder Vorschläge zu einer atomkraftfreie Welt.
Am Abschlusstag sind Friedensgottesdienste in den christlichen Kirchen der Stadt geplant. Eine Feier mit Vertretern der Weltreligionen im Konstanzer Rathaus steht im Zeichen der "Spiritualität als Dimension der Versöhnung".
Friedensradler aus Österreich
Um ihrem Ideal der aktiver Gewaltfreiheit zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen, sind etliche Teilnehmer des Friedenstreffens in den vergangenen Wochen in Sternfahrten aus mehreren Ländern an den Bodensee geradelt. Auch die Ankunft einer Gruppe Österreicher, die ihre Friedensradtour für Gewaltfreiheit und Versöhnung am 20. Juli in Wien gestartet hatte, wurde am Donnerstag in Konstanz erwartet. Die Friedensradler, unter ihnen der stellvertretende IFOR-Österreich-Vorstand und frühere Chefredakteur der Feldkircher Kirchenzeitung, Walter Buder, haben die knapp 1.000 Kilometer quer durch Österreich in elf Tagesetappen zurückgelegt.
Quelle: Kathpress