"Den Suizid zu erlauben ist eine Anmaßung"
Eine skurril anmutende Fußnote im Blick auf die Voten der Bioethikkommission zur Sterbehilfe stellte das Sondervotum des Philosophen Peter Kampits dar. Er sprach sich - als zweiter stellvertretender Vorsitzender der Bioethikkommission - für eine Freigabe selbst der Tötung auf Verlangen aus - obwohl diese kaum Thema der Diskussionen in der Bioethikkommission gewesen sei, wie das Portal "NZZ.at" schreibt. Kampits Begründung:
"Da der Unterschied zwischen Tun und Unterlassen aus ethischer Perspektive eine Grauzone aufreißt (...) sollten die Kriterien für die Reform des assistierten Suizids auch auf die Tötung auf Verlangen übertragen werden. Insofern erscheint es angebracht, für Angehörige und nahestehende Personen eine Straflosigkeit vorzusehen, wenn sie dies gegenüber einer an einer unheilbaren, zum Tode führenden Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung leidenden Person vornehmen. Darüber hinaus sollte eine Tötung auf Verlangen durch Ärzte in bestimmten Fällen entkriminalisiert werden (...)."
"Wenn der Selbstmord erlaubt ist, ist alles erlaubt"
So sehr Kampits Position eine Ausnahme und Sonderposition darstellt, so sehr sollte es doch zu denken geben, dass seine Position die bisher einzige öffentliche Wortmeldung eines Philosophen in der österreichischen Debatte darstellt. In Deutschland hat sich indes zuletzt der Philosoph Robert Spaemann mit einem kraftvollen Zwischenruf in der Wochenzeitung "Die Zeit" (Ausgabe vom 12. Februar) zur Wort gemeldet und eindringlich vor einer Freigabe der Suizid-Beihilfe gewarnt. Wer Sterbehilfe und Suizid enttabuisiere oder ausdrücklich erlaube, mache über kurz oder lang die Selbsttötung pflegebedürftiger Menschen zur Pflicht, so Spaemann.
Spaemann baut seine Argumentation dabei auf einer - heute in der philosophischen wie theologischen Diskussion eher zur Randerscheinung gewordenen - Naturrechts-Philosophie auf, die von der Annahme einer "konstitutiven Natur des Menschen" ausgeht, die allen menschlichen Handlungen zugrunde liegt und damit als unhintergehbares Kriterium auch das Recht normativ grundiert.
So stelle etwa bereits die rechtsphilosophische Grundannahme, dass aus der Straffreiheit des Selbstmordes das Recht abzuleiten sei, einem Kranken beim Suizid zu helfen, einen "Trugschluss" dar. Der Suizid könne in einer aufrechten Rechtsordnung niemals erlaubt sein, so Spaemann, ja er müsse sogar "geächtet" bleiben: "Denn wenn er eine sozial akzeptierte und institutionell ausgestattete Möglichkeit ist, wird es unvermeidlich sein, zu verhindern, dass daraus die Pflicht wird, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, um den anderen nicht weiter zur Last zu fallen." Es komme also zu einer Art argumentativer Schubumkehr, insofern sich dann künftig rechtfertigen müsse, wer die gebotenen Möglichkeiten des freiwilligen Aus-dem-Leben-Scheidens nicht in Anspruch nehme.
"Ungeheuerliche Anmaßung"
Diese Gefahr habe man schon in der Antike gesehen und daher seit Sokrates den Suizid geächtet, so Spaemann weiter. Ludwig Wittgenstein habe dies etwa mit dem Satz auf den Punkt gebracht: "Wenn der Selbstmord erlaubt ist, ist alles erlaubt." - Und dies, weil sich der Mensch mit dem Suizid der menschlichen Rechtssphäre entzieht, argumentiert Spaemann. Dies gelte letztlich auch für die Suizidbeihilfe, da kein Mensch einen anderen davon dispensieren könne, ihm beim Suizid zu helfen: "Er [der Suizidant, Anm.] kann niemandem zumuten, zu sagen: 'Dich soll es nicht mehr geben'". Wer so handelt, negiere sich selbst als "Glied der universalen Personengemeinschaft", so Spaemann.
Nicht gelten lässt Spaemann darüber hinaus das Argument, der Suizid stelle eine Form der Freiheit und Befreiung etwa von Leiden dar. "Es kann nicht Befreiung sein, wenn das Subjekt möglicher Freiheit vernichtet wird". So kommt Spaemann zu dem Schluss: "Wie auch immer man den Suizid moralisch beurteilt, ihn juristisch zu erlauben ist eine ungeheuerliche Anmaßung".
Normative Natur des Menschen
Naturrechtliche Überlegungen kommen ins Spiel, wo sich Spaemann mit der Frage der Willensfreiheit des Suizidanten auseinandersetzt. So spiele der Todeswunsch der Suizidanten laut Spaemann in der Argumentation der Befürworter assistierten Suizids eine wichtige Rolle. Damit komme es jedoch zu erheblichen Abgrenzungsproblemen etwa bei der Frage, wie man mit dem Todeswunsch aus akutem Liebeskummer umgehen könne. Selbst Verfechter der Suizidbeihilfe wagen es in der Regel nicht, so Spaemann, "jeden Todeswunsch zu respektieren" - anders gesagt: Selbst bei Verfechtern des freien Willens gibt es offenbar eine Art normative Basis, auf der der Sterbewille eingeschätzt und bewertet wird. Kein Arzt werde schließlich jemandem beim Suizid helfen, "von dem wir wissen, dass sein Wunsch, sich zu töten oder töten zu lassen, übermorgen schon Vergangenheit sein wird".
Es gebe also offenbar, so Spaemann weiter, "doch eine normative Natur des Menschen". Diese trete auch dort zum Vorschein, wo man etwa einem Menschen Personalität und Würde zuspricht, wo er selber über kein Selbstbewusstsein verfügt - wie etwa im Schlaf. Anders gesagt: Spaemann hält den Vertretern einer voluntaristischen Philosophie, die sämtliche Entscheidungen ganz auf die bewusste Wahl und Entscheidung der Person abstellt, die jeder bewussten Entscheidung vorausgehende menschliche Natur als normativ und konstitutiv entgegen: "Der, der wählen soll, wer er sein will, ist ja schon jemand, der eine Natur besitzt, aufgrund deren er wählt. Und in der Tat ist es auch nur erlaubt, sich in das Leben unserer Mitmenschen einzumischen, weil wir aufgrund einer gemeinsamen menschlichen Natur eine Solidargemeinschaft sind."
Der biblische Monotheismus hat diese grundlegende Einsicht in die Erzählung von Kain und Abel einfließen lassen, wie Spaemann erläutert: "Gott stellt den ersten Brudermörder Kain zur Rede. Er fragt nicht. ob er dem Abel etwas zuleide getan hat, er fragt nur: Wo ist dein Bruder? Kain ist ein Liberaler. Er antwortet: Bin ich denn der Hüter meines Bruders? Wieso muss ich wissen, wo er ist? Aber Gott will, dass er das weiß. Aber nicht, um ihm behilflich zu sein dabei, sich selbst zu töten."
Schließlich beendet Spaemann sein Plädoyer gegen jede Form der Euthanasie mit einer Unterscheidung zwischen Sterbehilfe und Sterben-Lassen durch Unterlassung von Maßnahmen, die einen Patienten "zum Leben zwingen". So würde er eine Gesetzesänderung befürworten, die Strafen für Ärzte aussetzt, wenn diese "unter Berücksichtigung aller Bedingungen die außerordentlichen Maßnahmen der Lebensverlängerung" einstellen. Wer das tue, "tötet nicht, sondern hört auf, einen Patienten zum Leben zu zwingen", so Spaemann.
Quelle: Kathpress