"Der Kirche fehlt Medienkompetenz, den Medien Kirchenkompetenz"
"Der Kirche fehlt es an Medienkompetenz, wie auch umgekehrt den Medien Kompetenz beim Thema Kirche": Zu diesem Urteil kam die stellvertretende Chefredakteurin des "Kurier", Martina Salomon, bei einem Medienstudientag am Montag im Wiener Kardinal-König-Haus. Ja, die Kirche sei in der medialen Aufmerksamkeit bereits "in völliger Bedeutungslosigkeit versunken", sehe man von der allseits rezipierten Caritas ab. Salomon, die für die Kirche eine "Grundsympathie" empfinde, führte als Gründe dafür mangelnde Ecken und Kanten an: Die Kirche sei etwa beim Thema Familie zu wenig streitlustig, eher schweigsam und manchmal "feig"; Organisationen und Verbände in diesem Bereich würden vor allem durch ältere Herren repräsentiert und erweckten den Anschein, als stünden sie noch im vergangenen Jahrhundert.
Papst Franziskus empfindet Salomon als "verhaltensoriginell" und humorvoll. Es sei aber noch offen, ob man die Kirche durch seine Person auf längere Sicht ernster nimmt. Die Caritas wiederum punkte zwar bei Profanmedien, vertrete aber oft Positionen, die ihrem Eindruck nach in der Breite der Gesellschaft durchaus hinterfragt würden.
Die "Kurier"-Journalistin referierte und diskutierte beim Studientag "Familie - zwischen kirchlichem Anspruch und medialer Wirklichkeit", den das Medienreferat der Österreichischen Bischofskonferenz und der Katholische Familienverband Österreichs (KFÖ) erstmals und im Hinblick auf die Familien-Bischofssynoden in Rom veranstalteten. Den österreichischen Medien warf Salomon Einseitigkeit bei ihrer Darstellung von Familien vor: Oft habe man den Eindruck, als sei die Kernfamilie mit Vater-Mutter-Kindern bereits eine Ausnahme oder gar ein "Auslaufmodell" und müsse, wer heute nicht als "spießig" oder diskriminierend gelten will, auch Patchwork-Familien, Homo-Ehen oder Alleinerziehende präsentieren. Aber: Immer noch wachsen 80 Prozent aller Österreicher unter 18 Jahren in einer solchen Kernfamilie auf, berichtete Salomon von einer auch für sie überraschenden Recherche.
Kinder bevorzugen "spießiges" Familienbild
Tatsache sei auch, dass sich Kinder nicht eine als normal dargestellte serielle Monogamie ihrer Eltern wünschen, sondern das Aufwachsen in eben einer jener "spießigen" Kernfamilien. Dieses Modell sollte von Staat und Kirche "privilegiert" werden, ohne andere Familienformen zu diskriminieren, riet die Publizistin. Denn auch wenn Kernfamilien heute oft als Hort von verborgener Gewalt verunglimpft würden, dürften derlei Fälle nicht verallgemeinert werden. Der Staat erspare sich vielmehr viel Geld für Bildung, Therapien etc., wenn Familien intakt blieben.
Salomon forderte auch einen Perspektivenwechsel in der Familienpolitik, die viel mehr von den Bedürfnissen der Kinder ausgehen sollte. Als eine, die als Mutter zweier Kinder selbst jahrelang in Teilzeit arbeitete "und dennoch Karriere machte", wandte sich Salomon auch gegen Vollzeit arbeitende Mütter als einzig "politisch korrektes" Lebensmodell.
Das voreingenommene Familienbild in vielen Medien führte die "Kurier"-Journalistin auch darauf zurück, dass Medienleute selbst oft keine Kinder hätten. Wären Journalisten repräsentativ für das Fortpflanzungsverhalten der Gesamtbevölkerung, "würden wir aussterben", so Salomon pointiert in der Diskussion.
"Wir müssen unsere Medienkompetenz erhöhen"
Die von der stellvertretenden Chefredakteurin des "Kurier" geäußerte Kritik an der mangelnden kirchlichen Medienkompetenz ist auf fruchtbaren Boden gefallen: Das bestätigte der Pressesprecher der Erzdiözese Wien, Michael Prüller, bei einem Abschluss-Podium zum ersten Katholischen Medienstudientag am Montagabend in Wien. Er nehme die Kritik sehr ernst, so Prüller, "wir müssen an unserer Medienkompetenz arbeiten und sie erhöhen". Es bringe nichts, sich selbst die Lage "schönzureden" und die eigene Kompetenz zu betonen, wenn dies nicht vom Gegenüber so wahrgenommen werde.
Sensibilisiert habe der Studientag darüber hinaus im Blick auf die Frage, wie überhaupt Familie zum Gegenstand positiver Berichterstattung werden kann. Das Ziel könne nicht darin bestehen, "über" Familie als Institution zu berichten, sondern Beispiele gelingenden Vater-, Mutter- oder Kind-Seins zu finden und diese in den Fokus zu nehmen.
Dies bestätigte auch die Chefredakteurin der Zeitschrift "Welt der Frau", Christine Haiden. Familie werde zum weithin beachteten Thema immer dort, wo die Freiheit und Autonomie der Person, insbesondere der Frauen, beachtet werde - und nicht über fixe Rollenmodelle und Zuschreibungen. "Familie folgt keiner Schablone, sonder ist ein vielgestaltiges Beziehungsgeschehen". Als solches sei Familie auch in Medien keineswegs "out", sondern biete weiterhin zahlreiche Geschichten und Zugänge, so Haiden.
Von einer Rückkehr von Familienthemen auch in den "traditionellen" Medien berichtete die "Presse"-Journalistin Socia Media-Expertin Anna-Maria Wallner. Diese Rückkehr sei laut Wallner nicht zuletzt den sozialen Netzwerken zu verdanken, in denen vor allem Geschichten mit hohem "human interest-Faktor" und großer Nähe zur Lebenssituation der Menschen geteilt werden und hohe Zustimmung finden. Dieses Bedürfnis würden auch die klassischen Medien zunehmend ernstnehmen und darauf in ihrer Berichterstattung reagieren, so Wallner. "Diese Themen werden bleiben, weil die Sehnsucht des Ich dahin strebt, sich im Wir wiederzufinden".
Der Public Value-Beauftragte des ORF, Klaus Unterberger, räumte seinerseits ein, dass gerade beim Familienthema der Fokus oftmals auf Skandalisierung, Krisenerfahrungen und Problematisierung liege. Er orte dagegen ein großes Bedürfnis nach Formaten, die auch "gelingendes Leben" stärker in den Blick nehmen. Die Medien seien mit verantwortlich für das "sehr negativ aufgeladene Gesellschaftsbild", so Unterberger. Da müsse man sich "selbst an die Nase nehmen" und zu fragen, wo man als Medium auch "Möglichkeitsräume" für gelingendes Leben eröffnen und aufzeigen könne - etwa in Form einer eigenen Sendereihe unter dem Stichwort "Mein Leben gelingt..."
Darüber hinaus würdigte Unterberger die Leistungen der ORF-Religionsabteilung, die nicht nur fachspezifische, qualitätsvolle Berichterstattung betreibe, sondern immer auch Zugänge zu gesellschaftlich relevanten Themen biete, die einen neuen Blick ermöglichen.
Bekräftigt wurde die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch den Filmproduzenten Golli Marboe (Makidofilm). "Auch wenn in bürgerlichen Kreisen gerne über das Fernsehen die Nase gerümpft wird", so sei der durchschnittliche TV-Konsum auf Dreidreiviertelstunden pro Kopf pro Tag gestiegen. "Das Fernsehen ist nicht tot", so Marboe, sondern ein wichtiger Informations-, Unterhaltungs- und Kulturträger. Damit erfülle es weiterhin eine demokratietragende Funktion, die man stärken sollte durch eine gänzliche Werbebefreiung des Programms und eine verpflichtende Haushaltsabgabe, wie es sie etwa in Deutschland gebe. Damit werde die Freiheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch für nicht-mainstream-Produktionen erhöht.
Konkrete Kritik am ORF übte der Präsident des Katholischen Familienverbandes (KFÖ), Alfred Trendl. Gerade in Fragen der Familienpolitik berichte der ORF "nicht ausgewogen"; da seien Printmedien besser aufgestellt. Zugleich ermunterte Trendl dazu, den ORF-Publikumsrat als Einrichtung zur Platzierung von Zuseher- und Hörerwünschen ernst zu nehmen und an die jeweiligen Fachvertreter gezielt mit Anliegen heranzutreten. Trendl ist Vertreter der Katholischen Kirche im Publikumsrat.
Die Texte und Präsentationen des Medienstudientages sollen künftig auch auf einer eigenen Website zugänglich gemacht werden.