Solidarität kostet
"Solidarität kostet", und Österreich müsse seine Aufwendungen für Lebensrettungs-Maßnahmen im Mittelmeer und für Entwicklungshilfe erhöhen. Das betonte Kardinal Christoph Schönborn am Freitagabend als Studiogast in der "ZiB2" des ORF. Er verstehe die Angst vieler Bürger vor den zuletzt krisenbedingt stark angestiegenen Flüchtlingsströmen aus Afrika und Asien, aber Österreich habe seine Möglichkeiten bei der Bewältigung von Not noch nicht ausgeschöpft. Der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz verwies auf Schweden, das doppelt so viele Flüchtlinge aufnehme, sowie auf den von ihm 2014 besuchten Libanon, der bei einer Einwohnerzahl von vier Millionen derzeit rund 1,5 Millionen Flüchtlinge beherberge.
Es sei nicht leicht, ein Gleichgewicht zu finden zwischen Aufnahmebereitschaft und Aufnahmeerfordernis, gestand Schönborn der österreichischen Politik zu. Aber zumindest müsse mit einem auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens erhöhten staatlichen Entwicklungshilfe-Budget versucht werden, die Fluchtgründe in vielen Krisenländern bestmöglich zu minimieren. Er verstehe die Notwendigkeit, zur Konsolidierung des Staatshaushalts zu sparen, "aber nicht in diesem Bereich", denn sonst drohten umso höhere Ausgaben bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme.
Der Staat bleibe in seiner Hilfsbereitschaft hinter der Bevölkerung zurück, die Organisationen wie etwa der Dreikönigsaktion viele Spenden für Entwicklungszusammenarbeit überlasse.
Auch Flüchtlingen Lebenschancen bieten
Für den Wiener Erzbischof steht zudem außer Zweifel, dass Österreich ein Immigrationsland sei und auf absehbare Zeit bleiben werde. Die niedrige Geburtenrate erfordere Zuwanderung, und jetzt schon seien Arbeitsfelder wie das Gesundheitswesen und die Pflege stark von Arbeitskräften aus dem Ausland abhängig. Man müsse auch Menschen, die aufgrund von Mangel an Arbeit, Nahrung oder wegen Krieg und Verfolgung eine neue Lebensgrundlage suchen, Chancen bieten.
Schönborn erinnerte auch daran, dass Europa und Österreich schon einmal vor größeren Herausforderungen mit Fluchtbewegungen stand. Nach dem Weltkrieg seien drei Millionen Menschen aus der damaligen Tschechoslowakei geflohen, darunter auch seine eigene Familie. Und auch seine Mutter habe mit ihren Kindern "nicht aus Jux und Tollerei" ihre Heimat verlassen, sondern weil Lebensgefahr bestand, berichtete der Kardinal. Er appellierte, das heutige Problem "mutig anzugehen".
Auf die Frage nach den jüngst bekannt gewordenen Anschlagplänen im Vatikan aus dem Jahr 2010 antwortete Schönborn: Dass der Papst besonders gefährdet sei, wisse man spätestens seit dem Attentat auf Johannes Paul II. im Jahr 1981. Laut Vatikansprecher Federico Lombardi bestehe derzeit keine akute Gefahr, doch seien zuletzt die Sicherheitsmaßnahmen erhöht worden - "zurecht", wie Schönborn anmerkte.
Appell an Regierung in Offenem Brief
Am Freitag hatte sich Kardinal Schönborn mit einem Offenen Brief an die Bundesregierung für Rettungsmaßnahmen zugunsten der Bootsflüchtlinge im Mittelmeer sowie für eine Aufstockung der staatlichen EZA-Gelder ausgesprochen. Österreich möge sich innerhalb der EU für eine Wiederaufnahme der Rettungsaktion "Mare Nostrum" und generell für eine humane Flüchtlingspolitik einsetzen, so sein Appell, der in den Ausgaben der "Kronen Zeitung" und von "Heute" veröffentlicht wurde. "Lassen wir die Menschen im Mittelmeer jetzt nicht im Stich!", forderte der Kardinal einen nationalen Schulterschluss im Sinne der Menschlichkeit.
Denn "wenn wir heute nicht aufpassen, tragen wir morgen im Mittelmeer auch jene Ideale zu Grabe, auf die wir in Österreich, auf die wir in ganz Europa zu Recht stolz sein dürfen: Solidarität und Völkerrecht. Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe", schrieb Schönborn.