"Reformation" & "Gegenreformation" überholte Begriffe
Aus Perspektive der Bildungsforschung und der Geschichtswissenschaft sollten "Reformation" und "Gegenreformation" als Epochenbezeichnungen besser durch "konfessionelles Zeitalter" ersetzt werden. Wie der emeritierte Professor für Religionspädagogik, Martin Jäggle, am Mittwochabend in einer Wiener Ringvorlesung darlegte, sei ein kritischeres Verständnis der "festgefahrenen" Begriffe zu den Bildungsbemühungen der katholischen und evangelischen Kirche in jener Zeit notwendig, um ernsthafte Forschung zu befördern.
Es gehe ihm nicht darum, die "mörderischen Ereignisse" während der Gegenreformation unter den Tisch zu kehren oder zu verharmlosen, so der ehemalige Dekan der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien. "In Bezug auf die gewaltsame Rekatholisierung sowie die Vertreibung und Tötung von Protestanten ist der Begriff Gegenreformation von großer Bedeutung." Fragen müsse man sich jedoch, in welchem Dienst die religiöse Bildung in der damaligen Zeit stand.
Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche bauten laut Jäggle während des "konfessionellen Zeitalters" ihre Bildungsinitiativen massiv aus - und dies nicht zufällig: Konfessionalisierung bedeute schließlich zuerst Sozialdisziplinierung, für die das beste Werkzeug die konfessionelle Bildung sei, welche deshalb für die Kirchen und auch für den Staat von besonderem Interesse gewesen sei. Jäggle zufolge war die Ausweitung des Bildungssystems keine protestantische Innovation, die von den Katholiken kopiert wurde, sondern vielmehr ein Phänomen der Zeit.
In diesem Zusammenhang verwies der Religionspädagoge auf das Beispiel des Jesuitenordens, dessen Gründung "nichts mit Gegenreformation zu tun hatte, sondern vielmehr ein Ergebnis der katholischen Reform war". Die Jesuiten hatten sich, genauso wie eine Vielzahl katholischer Frauengemeinschaften, in besonderer Weise der Bildung von Kindern und Jugendlichen verschrieben und dabei für die damalige Zeit Maßstäbe in der Erziehung gesetzt, so Jäggle.
Vermeidung von Konflikten ist nicht alles
Disziplinierung und Konditionierung im Religionsunterricht seien laut Jäggle aus heutiger bildungswissenschaftlicher Sicht "natürlich undenkbar". Man müsse aber hinterfragen, welchen Auftrag religiöse Bildung heutzutage hat. Gegenwärtig sei es unter Religionspädagogen "en vogue", immer wieder auf die Bedeutung der religiösen Bildung zur Vermeidung von Konflikten hinzuweisen. "Ich frage mich, ob wir uns wirklich auf diese einzige Aufgabe beschränken wollen", so der Theologe. Die Relevanz in der christlichen Bewusstseinsbildung und Glaubensschärfung würde man dadurch nämlich abgeben.
Das christliche Bildungsmodell könne sich hier viel vom jüdischen Bildungsverständnis abschauen, sei es doch für Juden normal, sich ein Leben lang religiös zu bilden und in der Synagoge zu lernen. In diesem Sinne ist laut Jäggle eine "Entdoktrinalisierung" im Bereich christlich-religiöser Bildung sinnvoll.
Die Ringvorlesung "Reformation als Herausforderung für die Bildungslandschaft heute" findet anlässlich des "Jahres der Bildung" der evangelischen Kirche statt. Sie wird von mehreren Fakultäten der Universität Wien, von der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems sowie der Evangelischen Kirche veranstaltet.