Verständlich von Gott sprechen
"Wie kann man heute Gott so denken und so über ihn sprechen, dass es nicht unverständlich oder sogar peinlich ist, sondern zu einer Herausforderung an die Kräfte von Hirn, Herz und Hand werden kann?" Diese Frage stellte der emeritierte Grazer Diözesanbischof Egon Kapellari in den Mittelpunkt seines Abschlussvortrages bei den "Pfingstgesprächen" am Freitag in Schloss Seggauberg (Steiermark). Seine These dazu unter Bezugnahme auf die Ringparabel Lessings in "Nathan der Weise": Glaubwürdigkeit im säkularen geistigen Umfeld Europas und auch im Verhältnis zu anderen Weltreligionen erlangt das Christentum auf der Ebene eines "Wettstreits um das Gute".
Lessings aufklärerische These von der Unentscheidbarkeit der Wahrheitsfrage nach der wahren Religion könne für ernsthafte Christen heute nicht bedeuten, ihren Glauben und den Anspruch auf die Einzigartigkeit und Gottheit Jesu Christi zu relativieren, sagte Kapellari in seinen Ausführungen über "alte und neue Religionskritik" unter dem Titel "Gute Religion? Böse Religion?. Die Ringparabel "ist und bleibt aber ein sehr plausibler Vorschlag zu einem Miteinander der Religionen ohne Feuer und Schwert", bei dem Glaube an seinen Früchten erkennbar und dadurch attraktiv werde.
Die Kirche habe sich im Kontext der Postmoderne als "so etwas wie eine Großmacht der Barmherzigkeit" zu bewähren und tue dies auch in vielen Kontexten, wies der Bischof hin. Ungeachtet "genereller Schwächen des Christentums in Europa und zumal auch in Österreich" gebe es "ungemein viel Vitalität" in der Kirche. Idealismus im Einsatz für andere müsse freilich immer wieder "durch Sachkompetenz und Bodenhaftung geerdet werden". Und wenn Papst Paul VI. vor Jahrzehnten in seiner Enzyklika "Populorum progressio" gesagt habe, "Entwicklung ist ein neuer Name für Frieden", so wolle er dies ergänzen durch: "Auch Bildung ist ein Name für Frieden", so Kapellari.
Religion sei im öffentlichen Diskurs Europas ein immer virulenteres Thema; für das Christentum, aber auch das Judentum und den Islam sei der "Gegenwind" aus der Zivilgesellschaft in den letzten Jahren stärker geworden. Dennoch bewegten Fragen wie "Wer und wie ist Gott bzw. gibt es Gott überhaupt?" viele Menschen in der westlichen Welt. Neben Glaubenden gebe es viele religiös Suchende, aber auch religiös Gleichgültige und - in geringerer Zahl - Atheisten, die für ihr Denk- und Lebensmodell werben.
Denker und Dichter machen Gott vermehrt zum Thema
Unter europäischen Denkern und Dichtern sei Gott zuletzt wieder vermehrt ein Thema geworden, erinnerte der Grazer Bischof. Er nannte als Beispiele ein Themenheft der liberalen deutschen Zeitschrift "Merkur", in der es um die Frage ging, in welcher Weise die "geistige Urkategorie Gott", die kulturell und institutionell immer noch Gewicht habe, heute theoretisch begründbar ist. Auch der "Meisterdenker" Jürgen Habermas habe, obwohl "religiös unmusikalisch", davor gewarnt, auf das semantische Potential der Religion und zumal des Christentums für die heutige Lebenskultur zu verzichten. Religiöse Tradition und Sprache haben, so zitierte Kapellari den Philosophen, eine unaufgebbare Bedeutung, "da die Religion Sinngehalte hat, für die einer ethisch enthaltsamen Philosophie keine Ausdrucksmöglichkeiten gegeben sind".
In der zeitgenössischen Literatur habe zuletzt Martin Walser mit der Frage "Was fehlt, wenn Gott fehlt?" darauf hingewiesen, dass "der leere Platz Gottes" im Leben Einzelner und in der Gesellschaft überhaupt "und die Frage nach Gott nicht zugedeckt werden dürfen, wenn daraus nicht ein kultureller und spiritueller Schaden für das Ganze entstehen soll". Auch Peter Handkes Werk zeige eine "fortschreitende Annäherung" zum Religiösen.
Am Beispiel der Dichterin Marie-Luise Kaschnitz zeigte Kapellari auf, dass das poetisch beschworene Schöne der Natur "den Unglauben stört" und einen Schöpfer nahelegt. "Das Gewicht aller Zweifel an Gott angesichts des Grauenhaften in der Geschichte wird dadurch nicht beseitigt, aber relativiert", merkte der Bischof und vielfache Buchautor an.
Kirche wurde schwächer und blieb stark
Kapellari ging in seinem Vortrag auch auf die Situation der katholischen Kirche im Kontext anderer Konfessionen und Religionsgemeinschaften ein. Gemessen an früheren Parametern wie religiöses Wissen, Gottesdienstbesuch, Berufungen oder Beachtung der kirchlichen Vorgaben betreffend Sexualität und Ehe sei die Kirche unbestreitbar schwächer geworden: "All das hat sich im Ganzen drastisch verringert."
Es gebe aber auch Stärken, die aufs Erste nicht gleich erkennbar seien. Kapellari verwies auf den bekennenden Katholiken und grünen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, der das Evangelium in der heutigen Zeit etwa in den Idealen des Sozialstaates, der Bewahrung der Schöpfung oder der Achtung der Würde des Menschen umgesetzt sieht.
Als die weltweit größte einheitlich verfasste Religionsgemeinschaft stehe die katholische Kirche "in der Spannung zwischen Homogenität und Pluralität, zwischen Breite und Tiefe, zwischen Tradition und neuen Herausforderungen, zwischen sozial-politischem Engagement und mystischer Versenkung in Gott. Sie macht Fehler und begeht Sünden, hat aber zugleich riesige Ressourcen an Mitmenschlichkeit, an Barmherzigkeit und Heiligkeit und aktiviert viel davon an jedem neuen Tag."
Papst ignoriert zugespitzte political correctness
Gerade mit Papst Franziskus sei "ein Schub fröhlicher gelebter Bergpredigt" in die Kirche eingebracht worden, von dem auch die Zivilgesellschaft erfasst wurde, wies Bischof Kapellari hin. "Ohne Rücksicht auf zugespitzte Ansprüche von political correctness geht der Papst seinen Weg", ihm werde auch von UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon "Leadership" attestiert.
Innerkirchlich finde der Papst "bekanntlich nicht überall Zustimmung", doch sei er für Kritik zugänglich und lehne "Denk- und Redeverbote" ab. Kapellaris Hoffnung: "Einem fairen Ringen betreffend schwerwiegende Themen und Probleme der Kirche ist dadurch ein Weg eröffnet, auf dem Ängste und Hoffnungen auch beim Namen genannt und nicht verdrängt werden."
Flüchtlingsfrage Prüfstein
Im abschließenden "Forum Generale" über tragende Werte Europas kritisierte der ehemalige EU-Kommissar Franz Fischler den Umstand, dass "die in Brüssel" fast so wie ein 29. Staat in der EU behandelt werden und nationale Politiker durch dieses Gegenüber auch Verantwortung abschieben würden. Um Europa voranzubringen, brauche es aber den Einsatz aller Ebenen - von der Gemeinde über die nationalstaatlichen bis zu den EU-Institutionen.
Missfallen äußerte der Chef des Forums Alpbach auch daran, dass auf EU-Ebene die erste Maßnahme gegen Flüchtlingsströme im Mittelmeer das Versenken potenzieller Schlepperschiffe sein soll; dies stehe um Widerspruch zu den humanitären Werte des Kontinents.
Auch Österreich erntete bei Fischler Kritik für seine "unehrliche" Haltung in der Entwicklungspolitik: Bekenntnisse zur EZA stünden erneute Mittelkürzungen gegenüber.
Schriftsteller Doron Rabinovici stellte als weiterer Podiumsdiskutant Asyl als Prüfstein für die Menschenrechte in Europa dar. Fundamentale Lebensrechte dürften nicht nur von deren Gewährung durch einzelne Staaten abhängen, es bedürfe vielmehr eine "Ausfallshaftung", falls ein Staat hier versage. Werde die Universalität der Menschenrechte zu bloßen Bürgerrechten geschrumpft, hätten entsprechende Resolutionen und Konventionen jeden Wert verloren, so der Autor leidenschaftlich.
Zum Flüchtlingsthema hatte sich bereits der steirische Landeshauptmann-Stellvertreter Hermann Schützenhöfer in seinen Begrüßungsworten zu Beginn des Finaltages in persönlichen Worten geäußert: Er sei bestürzt über die Schicksale der Heimatvertriebenen, aber ebenso über mangelnde Solidarität bei deren Aufnahme und eine damit einhergehende Verrohung der politischen Sprache. Wenn auf Wahlplakaten wie derzeit in der Steiermark "Fremde im eigenen Land" vor behaupteter Bedrohung geschützt werden müssen, fehle ihm jegliches Verständnis für eine derart "primitive" Stimmungsmache, so Schützenhöfer. Wenn in einem christlichen Land z.B. für eine christliche Flüchtlingsfamilie aus Syrien nicht für eine Zeitlang ein Platz gefunden werden könne, "dann können wir unseren Taufschein in der Sakristei wieder abgeben", so der deklarierte Katholik.
Hohe Qualität des Streitens
Der ungarische Historiker György Dalos nannte es als Schlussredner des Podiumsgespräches als Vorzug der EU gegenüber anderen Staatenbünden - etwa dem in seinem Land lange dominanten Warschauer Pakt -, dass man über die Union streiten dürfe. Das mache ihr Bild womöglich schlechter, als sie es verdiene. Er wünsche sich jedenfalls, so Dalos, auch in zehn oder 20 Jahren noch über die EU streiten zu können.
An den diesjährigen "Pfingstgesprächen" nahmen rund 180 Interessierte teil, darunter etwa 50 studierende Stipendiaten aus verschiedenen Ländern Ost- und Südosteuropas. Die von Land Steiermark und Diözese Graz-Seckau im Zweijahresrhythmus veranstaltete Tagung wies zahlreiche Teilnehmer aus Politik und Kirche, Kultur und Wissenschaft auf, prominente Hauptredner waren Alternativ-Nobelpreis-Gründer Jakob von Uexküll und die deutsche Feministin Alice Schwarzer.
Dabei kam es zu so manch ungewöhnlichem Brückenschlag, wie Bischof Egon Kapellari bei seinem Vortrag am Freitagvormittag schmunzelnd berichtete. In seinen Tischgesprächen mit Alice Schwarzer seien beiderseitige Vorurteile "im Eiltempo abgebaut" worden, man sei "fast so etwas wie Freunde geworden".