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Südosteuropa: Erfolgreiche Reformen nur unter Einbeziehung von Kirchen und Religionen

 

Zweiter Teil der internationalen Tagung "Religionsgemeinschaften und Zivilgesellschaft im südöstlichen Europa" legte Fokus auf Situation in Bosnien-Herzegowina


Graz, 30.04.21 (poi) Politische wie gesellschaftliche Reformen in Südosteuropa müssen immer auch die religiöse Komponente mitbedenken. Das hat die an den Universitäten von Stanford und Zenica (Bosnien) lehrende Menschenrechts- und Religionsexpertin Prof. Zilka Spahic Siljak unterstrichen. Sie referierte am Donnerstag, 29. April, beim zweiten Teil der vierteiligen Online-Tagungsserie "Mit- und Nebeneinander. Religionsgemeinschaften und Zivilgesellschaft im südöstlichen Europa". Die Konferenz widmet sich ganz grundlegend von verschiedenen Blickwinkeln her der Frage nach dem Umgang der Religionsgemeinschaften mit zivilgesellschaftlichen Zielen und Aktionen im südöstlichen Europa seit 1989.


"Religion wird allzu oft als Problem gesehen und selten auch als Teil der Lösung", so Spahic Siljak. Dabei werde die nach wie vor hohe religiöse Identifikation eines Großteils der Bevölkerung – unabhängig von der persönlichen religiösen Glaubenspraxis – oft übersehen. Für die Mobilisierung der Bevölkerung bilde Religion deshalb auch eine nicht zu unterschätzende Ressource, betonte Spahic Siljak: "Kirchen und Religionsgemeinschaften müssen verstärkt eingebunden werden", mahnte die Wissenschaftlerin im Blick auf Reformbemühungen, die die Basis erreichen wollen und sollen. Sie ging in ihren Ausführungen vor allem auf die Situation in Bosnien-Herzegowina ein.

 

Oft würden internationale Organisation mit auf dem Reißbrett konstruierten Programmen im Land tätig, ohne auf die gesellschaftlichen Voraussetzungen vor Ort Rücksicht zu nehmen – mit dementsprechend wenig Erfolg, berichtete die Wissenschaftlerin. Weder der Staat noch die großen internationalen Organisationen würden Basisinitiativen vor Ort einbinden bzw. unterstützen, was aber zum Gelingen notwendig wäre. "Ich kann kein Versöhnungsprojekt beginnen, in dem es um Menschenrechte geht, ohne zugleich den interreligiösen Dialog und auch die wirtschaftlich notwendige Entwicklung mitzubedenken", erläuterte Spahic Siljak. Versöhnung sei eben auch kein "Projekt", sondern entstehe im Rahmen eines vielfältigen Entwicklungsprozesses.

 

Und die Wissenschaftlerin legte nach: "Wenn eine kleine Initiativgruppe etwa das im Krieg zerstörte Haus einer älteren Frau renoviert, die einer anderen Ethnie angehört, dann ist das der so notwendige Dialog des Lebens, den es braucht." Nachsatz: "Und das ist besser als tausend Konferenzen zum Thema Versöhnung."

 

Allerdings sei gerade die Aufarbeitung der jüngeren konfliktbeladenen Geschichte Ex-Jugoslawiens ein besonders heikles Thema, räumte Spahic Siljak ein. Einfacher sei es da schon, bei aktuellen Problemen zu neuen Kooperationen zu finden. Das sei etwa bei der großen Flutkatastrophe in Nordbosnien (und Serbien) vor einigen Jahren gelungen.

 

Fragmentiertes Land – fragmentierte Gesellschaft

 

Die Grundvoraussetzungen für zivilgesellschaftliche Initiativen und Organisationen in Bosnien-Herzegowina seien nicht gerade günstig, so Spahic Silka. Dies liege vor allem auch an der politischen, ethnischen und auch religiösen Fragmentierung des Landes. So gebe es viele kleine regionale Initiativen, denen es freilich an Geld, Strukturen und Netzwerken mangele. So bewegten und mobilisierten etwa Proteste gegen Umweltverschmutzung zwar kurzfristig lokal durchaus die Menschen, allein es fehle die Nachhaltigkeit.


Ein außerordentlich schwieriges Feld, weil politisch instrumentalisiert, sei die Hilfe für Migranten und Flüchtlinge in Bosnien-Herzegowina. Außer einzelnen lokalen Hilfsprojekten, vor allem von Kirchen und Religionsgemeinschaften, gebe es keine größere strukturierte Zusammenarbeit in diesem Bereich, räumte Spahic Siljak ein.

 

Respektvollen Umgang miteinander lernen

 

Gemeinsam mit Prof. Spahic Siljak bestritt Dr. Angela Ilic, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München, den zweiten Teil der Tagung. Für sie liegt eine der ganz großen Herausforderung in Südosteuropa darin, dass sich die Menschen nicht mehr in Unterscheidung zu anderen Bevölkerungsgruppen – sei es religiös oder ethnisch – definieren. Hier müsse man besonders im Bereich der Schulen ansetzen. Dem Religionsunterricht wie dem gesamten Schulalltag komme hier besondere Bedeutung zu. "Solange wir nicht mehr über andere lernen, können wir auch nicht respektvoll miteinander umgehen", betonte Ilic. Im respektvollen Umgang miteinander könne man auch übereinkommen, dass man in bestimmten Bereichen nicht übereinstimme.

 

Ilic berichtete zudem von gelungenen Dialogprojekten, etwa mit jungen Muslimen im Süden Serbiens, dem sogenannten Sandschak. Anknüpfungspunkt waren Herausforderungen und Probleme wie die Wirtschaftskrise und die damit verbundene Migration, aber auch Korruption oder die Diskriminierung von Minderheiten.

 

Eine Herausforderung sah Ilic für Südosteuropa auch in der Dynamik zwischen Minderheits- und Mehrheitskirchen bzw. -religionen. Mehrheiten würden oft die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit so lange nicht sehen, bis sie in bestimmten Bereichen selbst auf die Kooperation mit anderen angewiesen seien, so Ilic.

 

Teil drei am 6. Mai

 

Die Online-Tagung wird von der PRO ORIENTE-Kommission für südosteuropäische Geschichte, dem Zentrum für Südosteuropastudien der Universität Graz und dem Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München gemeinsam organisiert und durchgeführt. Moderiert wurde der zweite Teil der Tagung vom Grazer Politologen und Historiker Prof. Florian Bieber. Die weiteren Termine der Videokonferenz sind der 6. und 20. Mai (jeweils 16 bis 18 Uhr).

 

Infos zur Konferenz bzw. das erste und zweite Panel zum "Nachsehen": https://religion-und-zivilgesellschaft.info oder www.pro-oriente.at

 

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