Neue Studie: PID ist ineffizientes und unethisches Verfahren
Die Selektion von Embryonen nach deren genetischer Untersuchung (Präimplantationsdiagnostik, PID) bringt nachweislich keine Verbesserung der Chancen auf eine Schwangerschaft oder Lebendgeburt nach einer künstlichen Befruchtung: Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuell in der Fachzeitschrift "Cell Press/Trends in Molecular Medicine" publizierte Studie. Das kostspielige Verfahren ist laut den durchführenden Reproduktionsmedizinern außerdem unethisch: Es führt bei einer künstlichen Befruchtung (In-vitro-Fertilisation, IVF) dazu, dass menschliche Embryonen im Reagenzglas aussortiert werden - obwohl diese eigentlich gesund waren, berichtet das Wiener Bioethik-Institut IMABE am Freitag.
Studienleiter Norbert Gleicher, Direktor des Center of Human Reproduction in New York und Pionier der Reproduktionsmedizin, kritisiert, dass die PID im breiten Stil aufgrund falscher hypothetischer Voraussetzungen angewendet werde. Außerdem sei das Verfahren vorher nie klinisch getestet worden und erfülle daher "nicht einmal minimalen Standards für eine klinische Anwendung in der routinemäßigen IVF-Praxis". Sie wird inzwischen weltweit in IVF-Zentren als Zusatzangebot ("Add-on-Therapie") und gleichsam als "Goldstandard" zur Erfüllung des Kinderwunsches angeboten.
In Österreich ist die PID nur unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt; so etwa nach drei misslungenen, auf die genetische Disposition des Embryos zurückzuführenden IVF-Versuchen, nach drei Tot- oder Fehlgeburten nach künstlicher Befruchtung sowie bei Vorliegen einer entsprechenden genetischen Disposition zumindest eines Elternteils.
Ziel einer PID ist es u. a. festzustellen, ob ein menschlicher Embryo genetisch auffällig ist und deshalb entsorgt oder ob er im Rahmen einer IVF übertragen wird. Voraussetzung dafür sind die Herstellung mehrere Embryonen sowie das Verfahren der künstlichen Befruchtung. Gemeinhin wird angenommen, dass eine auffällige Chromosomenzahl (Aneuploidie) der Hauptfaktor für eine Fehlgeburt ist.
Viele falsche Ergebnisse
Studienleiter Gleicher relativiert jedoch diese These - und folgt damit auch der European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE) in einer Stellungnahme aus dem Jahr 2018: Mittlerweile sei bekannt, dass Embryonen in einem so frühen Stadium chromosomale Abweichungen aufweisen können (sog. Mosaik-Embryos), sich aber zu völlig gesunden Kindern entwickeln. Eine Aneuploidie (Abweichung der Chromosomenzahl) im Frühstadium des Embryos sei etwas Normales, der Embryo habe die hohe Fähigkeit zur Autokorrektur. Außerdem können sich aufgrund von Mosaikbildungen "gesunde" und "kranke" Chromosomensätze in den verschiedenen Zellen ein und desselben Embryos befinden, weshalb keine eindeutige Diagnose möglich ist.
Die Hypothese, wonach sich aus einer einzigen Biopsie feststellen lässt, ob ein Embryo normal ist oder chromosomal abnormal, sei falsch: "Eine Biopsie im Blastozystenstadium kann aus rein biologischen Gründen niemals das endgültige chromosomale Schicksal eines Embryos mit ausreichender klinischer Genauigkeit bestimmen, um seine Nichtverwendung oder sogar Entsorgung zu rechtfertigen", betonen die Autoren. Dies sei auch ein ethisches Problem. Die hohe falsch-positiv Rate der PID führe dazu, dass potenziell gesunde Embryonen vernichtet werden, was wiederum die Wahrscheinlichkeit einer IVF-Lebendgeburt für viele Patientinnen verringere.
Schäden durch Biopsie
Dass sich nach einem Gencheck und Selektion von Embryonen nachweislich weder die Wahrscheinlichkeit auf eine Schwangerschaft verbessert noch die Zahl der Fehlgeburten sinken, hängt laut Gleicher auch mit der Methode der PID an sich zusammen. "Es versteht sich von selbst, dass menschliche Embryonen äußerst empfindlich auf Manipulationen und Biopsien reagieren." Die durch die Biopsie verursachten Schäden an Embryonen könnten den Hauptgrund für die Enttäuschung der IVF-Ergebnisse nach PID darstellen.
Ethikerin: Kommerz statt Patientenwohl
"Wir erleben eine zunehmende Industrialisierung der Reproduktionsmedizin. Es ist bedauerlich, dass offenbar immer mehr kommerzielle Erwägungen und nicht das Wohl der Patienten im Fokus stehen", kommentierte die Geschäftsführerin des IMABE-Instituts, Susanne Kummer, die neuen Studienerkenntnisse. Sie verwies dabei auch darauf, dass Präimplantationsdiagnostik für IVF-Kliniken äußerst lukrativ sei: Ihre Kosten betragen laut Kummer zwischen 1.400 und 4.000 Euro - und sind zusätzlich zu den normalen IVF-Kosten zu bezahlen.
Mit dem Angebot einer PID würden Anreize geschaffen und damit "das Geschäft mit der Hoffnung angekurbelt und das, obwohl die kostspielige Methode nachweislich keine höheren Schwangerschaftsraten bei einer künstlichen Befruchtung bringt", fasste die Ethikerin zusammen. Als "Skandal, der in keinem anderen Feld der Medizin toleriert würde" bezeichnete Kummer die Anwendung von medizinischen Verfahren ohne vorherige Validierung und ohne klinische Standards.
Derzeit läuft in Australien eine Sammelklage gegen Monash IVF. Zwischen Mai 2019 und Oktober 2020 hatte das australische Unternehmen einen neuen, nicht-invasiven embryo-genetischen Screening-Test angeboten, der inzwischen zurückgezogen wurde. Die bis zu 13.000 Mal eingesetzte Methode hatte eine hohe falsch-positive Rate, was bedeutet, dass möglicherweise lebensfähige Embryonen zerstört wurden. Betroffene fordern in einer Sammelklage Entschädigungen im Wert von mehreren Millionen Dollar.
(Link zur Originalstudie: https://doi.org/10.1016/j.molmed.2020.11.009)
Quelle: kathpress