Karneval, Fastnacht, Fasching
Bekenntnisse eines Landnarren
Karneval, Fastnacht, Fasching
Bekenntnisse eines Landnarren
Es ist Zeit für ein "Outing": Ich bin Karnevals-Jeck. Ja, Karneval. Nicht Fasching. Denn ich komme aus dem Rheinland. Dort bleibt einem während der fünften Jahreszeit tatsächlich nichts anderes übrig, als mitzumischen im närrischen Treiben - oder auszuwandern. Vor inzwischen 14 Jahren bin ich tatsächlich nach Österreich ausgewandert, jedoch nicht, um dem Karneval zu entgehen. Im Gegenteil. Mein Herz schlägt weiterhin für diese wunderbare Mischung aus hemmungsloser Ausgelassenheit und Tradition.
Dabei sind es nicht die großen, zu Medienereignissen stilisierten Umzüge etwa in Köln oder Düsseldorf, die mich von Kind an gereizt haben, sondern die kleinen Umzüge auf dem Land, in den Dörfern. Gewiss, derb geht's da zu. Sozusagen ungeschminkt und manchmal recht archaisch. Von "Helau"- und "Alaaf"-Rufen ausgetrocknete Kehlen gehören schließlich geölt.
Kirche und Religion gehören zu jenen Konstanten, die wie ein Wetterleuchten den biografischen Himmel erhellten und den Weg wiesen.
Und doch ist Karneval, Fasching immer mehr als das. Es ist der Geschmack von Heimat, von Erinnerung an die Unverwüstbarkeit erdiger Traditionen. Und damit rückt der Karneval gleichsam in die Nähe der Religion - in meinem Fall des Katholizismus.
Ich war nie ein "Vorzeige-Katholik", der das Tagesevangelium schon inhaliert hatte, bevor die Glocken Sonntags zur Messe riefen; auch war ich nie Messdiener (Ministrant), nie im Pfarrgemeinderat und von einem pragmatischen Desinteresse an weltkirchlichen Entwicklungen geprägt. Rom ist schließlich sehr weit weg vom Niederrhein. Dennoch gehörte Kirche und Religion immer zu jenen Konstanten, die - darin dem Karneval nicht unähnlich - wie ein Wetterleuchten den biografischen Himmel erhellten und den Weg wiesen. Unprätentiös und doch bestimmend wie der Kirchturm eines x-beliebigen Dorfes inmitten von Kuhwiesen und Äckern. Bis heute.
Doch Religion, genauer: das Christentum und Karneval bzw. Fasching verbindet weitaus mehr als solche biografischen Glasperlenspiele. Tatsächlich ist die "närrische Zeit" nämlich fest im christlichen Brauchtum des Mittelalters verwurzelt. Und damit endet nun der persönliche Zugang - und es beginnt ein kleines Erklärstück, welches jedoch auch als verkappte Liebeserklärung an zwei Dinge in meinem Leben verstanden werden kann, die mir wertvoll und wichtig sind.
Dämonen und böse Geister wurden ausgetrieben. Manch schauderliche Maske - von Darth Vader bis zur Eisprinzessin - dürften diesbezüglich auch heute noch gute Dienste leisten...
So stand das Wort "Vaschanc", von dem sich das heute vor allem im oberdeutschen Raum (sprich: in Bayern, Österreich und Sachsen) gebräuchliche "Fasching" ableitet, für den letzten Alkohol-Ausschank vor der Fastenzeit. "Karneval" hingegen leitet sich vom lateinischen Begriff "carne vale" her, was so viel wie "Fleisch, lebe wohl" bedeutet. Doch auch Riten wie die Austreibung des Winters oder die Vertreibung von Dämonen haben sich in den Deutehorizont des Festes hineingedrängt. Manch schauderliche Maske - von Darth Vader bis zur Eisprinzessin - dürften diesbezüglich auch heute noch gute Dienste leisten...
Zu einem wahrhaft "demokratischen Fest" wird der Karneval jedoch, wenn man ihn in einer Traditionslinie mit den mittelalterlichen "Narrenfesten" sieht. Bei diesen Festen übernahmen "kleine" Kleriker Rang und Privilegien der Bischöfe, ein Kinderbischof wurde gekürt und sogar ein Pseudopapst bestimmt, während die Bewohner von Städten in Prozessionen daran teilnahmen. "Wir sind Kirche" auf mittelalterlich sozusagen...
Wenn Ihnen in den nächsten Tagen (freude)trunkenen Gestalten auf öffentlichen Plätzen in die Arme stolpern, so denken Sie sich doch: 'Schön, dass die Jugend so viel Wert auf katholische Traditionen legt...'
Das Ziel dieser Umkehr der regulären Ordnung war jedoch ein sehr bestimmtes: Es ging darum, in einem zeitlich klar befristeten Zeitfenster dem einfachen Volk einen Raum angeblicher Selbstbestimmung zu geben und auch Unmut somit gezielt zu kanalisieren, um auf der anderen Seite die bestehenden Strukturen und Verhältnisse zu zementieren. Zeitlich begrenzte und erlaubte Revolten wachsen sich halt selten zur Revolution aus.
Und doch hat der Karneval, pardon, der Fasching, damit eine bewahrenswerte, wenn auch oftmals übersehene utopische Spitze: Er ist die Erinnerung daran, dass die Dinge, dass die Ordnung der Welt auch ganz anders sein könnte. Kontingenzerfahrung sozusagen mit jedem Schluck Bier. Darin liegt der Wert des Karnevals - und im übrigen auch der Wert der Religion. Denn auch sie konfrontiert die ach so selbstgewisse, in ihrer säkularen Prozessmelancholie gefangene Welt mit einer unerhörten Aussage: Dass man mit dem Überraschungsfaktor Gott rechnen muss...
Wenn Sie also in den nächsten Tagen den Kopf schütteln sollten angesichts ausgedehnter Karnevals- und Faschingssendungen im Fernsehen (zugegeben, vor allem im deutschen Fernsehen...), oder wenn Ihnen (freude)trunkenen Gestalten auf öffentlichen Plätzen oder in Zügen und Bussen in die Arme stolpern, so drücken Sie doch ein Auge zu und denken Sie sich: "Schön, dass die Jugend so viel Wert auf christliche Traditionen legt..."
In diesem Sinne - Helau, Alaaf und Lei Lei!
zuletzt bearbeitet von Henning Klingen
am 28. Februar 2019