
19. Dezember
Alles wird gut
19. Dezember
Alles wird gut
Ich möchte euch Elahe vorstellen: Elahe wuchs im Iran in einem guten Elternhaus auf. Ihr Vater war Architekt, sie lebten ein gutes Leben. Ihre Familie war nicht religiös, was sich auf die Erziehung der Kinder auswirkte. Elahe wuchs in einem freien Umfeld auf und genoss eine liebevolle Erziehung. Als junge Frau studierte sie Physik und arbeitete als Assistentin an der Universität und unterrichtete in einem Gymnasium.
Eines Tage kam Elahe mit dem Christentum in Berührung. Sie war erstaunt, wie befreit die Menschen gemeinsam beteten und feierten. Elahe war fasziniert von diesem Glauben, wo sie keine Unterdrückung spürte und die Frauen auch ihre Rechte hatten. Heimlich ging sie immer wieder zu den Gottesdiensten in die Hauskirche. Elahe wollte auch ihren Schülerinnen und Schülern von diesem freien Glauben erzählen und wie gut es ihr ging, seit sie an Gott glaubte. Doch eines Tages wurde Elahe von der Schule verwiesen. Ihr war klar, dass jemand sie verraten hatte. Sie spürte, dass es für sie und ihre Tochter ab nun lebensgefährlich sein würde.
Elahe war mittlerweile geschieden, war Alleinerzieherin und lebte im gemeinsamen Haushalt mit den Eltern. Unter Tränen berichtete sie ihren Eltern von dem Vorfall. Es war allen klar, dass Elahe mit ihrer Tochter flüchten muss.
Elahe liebte ihre Eltern, aber es gab keinen anderen Weg. So machte sie sich 2016 mit ihrer Tochter auf den Weg nach Europa. Ihre erste Station in Österreich war ein Flüchtlingshaus in Wels. Sie lebte dort mit ihrer Tochter zwei Jahre. Eines Tages hörte Elahe von einem Laden in Linz, wo sich geflüchtete Menschen kostenlos Sachen holen können. Elahe kaufte sich ein Busticket und suchte den Kost-Nix-Laden des Vereins Zu-Flucht. Sie spürte dort, dass sie willkommen war, dass ihr niemand etwas Schlechtes wollte und fühlte sich vom ersten Augenblick an wohl. Damals wusste Elahe noch nicht, dass dieser Ort ihr zweites Zuhause werden würde.

Elahe und ich lernten uns kennen. Da sie ehrenamtliche Arbeit suchte, bot ich ihr an, dass sie bei uns im Laden die Spenden sortieren kann. Und das ist der Beginn einer ganz besonderen Freundschaft. Ich würde sogar sagen, dass Elahe und ich wie Geschwister sind. In all den Jahren, in denen Elahe und ihre Tochter auf ihren Bescheid warteten – und das waren lange sieben Jahre – lachten wir viel gemeinsam, aber es gab auch viele traurige Momente. Elahe verbrachte jede Minute, die sie konnte, im Kost-Nix-Laden. Die Arbeit tat ihr gut. Sie fühlte sich so wohl und beheimatet dort, dass dies ihr Zufluchtsort wurde, wenn sie es zu Hause vor Einsamkeit und Traurigkeit nicht mehr ausgehalten hat.
Elahe machte sich Sorgen um ihre Tochter, um deren Ausbildung und Leben in Österreich. Ihre Tochter ging ihren Weg, studierte Kunst und heiratete letztes Jahr einen österreichischen Mann.
Alles wird gut.
Elahe bekam eine Anstellung als Lehrerin in einer Mittelschule. Der Einstieg war hart für sie. Im Lehrkörper fühlte sie sich nicht wohl. Wenige ihrer Kolleg:innen traute Elahe zu, dass sie gut unterrichten konnte. Einige sagten zu ihr, dass sie überhaupt nicht verstehen, warum sie genau so viel verdient wie die österreichischen Lehrkräfte. Elahe arbeitete Tag und Nacht, damit sie sich alles aneignete, um gut unterrichten zu können. Aber es reichte nie. Nach ihrem ersten Schuljahr als Lehrerin bekam sie eine Anstellung in einer anderen Schule mit hohem Migrationsanteil. Elahe fühlte sich von Beginn an wohl und wusste, dass das ihre Schule ist.
Alles wird gut.
Vor einigen Jahren starb ihr Bruder. Warum und wie er gestorben ist, wissen Elahe und ihre Eltern bis heute nicht. Doch ihre Eltern waren nach dem Tod des Sohnes vielen Gefahren ausgesetzt, und so musste sich auch das alte Ehepaar auf den Weg nach Europa zu seiner Tochter machen. Es war ein langer Weg für die beiden. Und auch in Österreich war nicht alles gut. Sie kamen von einem Erstaufnahmezentrum ins andere, mussten dort wie in einem Gefängnis leben. Wieder musste Elahe eine starke Frau sein. Sie wollte, dass es ihren Eltern gut geht. Sie schaffte es jedoch nicht die Behörde davon zu überzeugen, dass sie sich um ihre Eltern kümmern wird sobald sie in ihrer Stadt sind. Viele Telefonate mit der Behörde, mit dem Betreuer ihrer Eltern, viele Amtsgänge erschwerten ihr das Leben. Nach wochenlangem Warten und Bangen gab die Behörde doch auf einmal die Zustimmung, dass Elahe ihre Eltern heimholen darf.
Alles wird gut.
Barbara Mitterndorfer-Ehrenfellner
Obfrau Verein Zu-Flucht.FlüchtlingsHilfeLinz