BIBEL
Das Wort "Bibel" kommt vom griechischen "to biblion" und heißt einfach "das Buch". Die Bibel ist aber in Wirklichkeit eine Sammlung von 73 Büchern. Diese sind zum Teil sehr verschieden voneinander, haben aber eines gemeinsam: Sie geben die Geschichte Gottes mit uns Menschen wieder.
Die Bibel wird eingeteilt in das Alte Testament (man kann es auch das Erste Testament nennen) und das Neue Testament. Die 46 Schriften des Alten Testamentes sind Christen und Juden weitgehend gemeinsam und spiegeln eine fast zweitausendjährige Gotteserfahrung eines Volkes oder einzelner Menschen wider.
Die 27 Schriften des Neuen Testamentes sind in einem Zeitraum von nicht einmal 100 Jahren entstanden. Sie verkünden das Wirken von Jesus Christus, dem Sohn Gottes, und die erste Ausbreitung seiner Botschaft.
Will ich die Bibel richtig verstehen, muss ich auch wissen, um welche Art von "Literatur" es sich handelt: eine geschichtliche Erzählung ist anders zu verstehen als eine poetische Dichtung. Die kritische Botschaft eines Propheten sagt anderes aus als die praktische Anweisung eines Apostels in einem Brief. Auch innerhalb eines Buches gibt es verschiedene Literaturgattungen: ein Gleichnis ist eine Geschichte, aus der wir eine Lehre ziehen können; die Leidensgeschichte überliefert die historische Tatsache des Leidens und Sterbens Jesu, gedeutet von Menschen, die an Jesus glauben, usw.
Die Bibel ist ein Glaubensbuch
In den Heiligen Schriften geht es um den Glauben. Diese grundlegende Absicht ist wichtig für ein rechtes Verständnis. Als Beispiel mag der erste "Schöpfungsbericht" im ersten Kapitel des Buches Genesis dienen. Er will nicht erklären, wie die Welt entstanden ist, sondern was sie bedeutet. Sie ist Gottes Schöpfung. Sie gehört dem Menschen nicht, ist ihm aber von Gott anvertraut. Sterne, Pflanzen oder Tiere sind keine Götter, wie damals viele Religionen glaubten, sondern Geschöpfe des eines Gottes.
Um diese Botschaft zu vermitteln, überliefert das erste Buch der Bibel einen Hymnus. Er hat sieben Strophen nach dem Modell der Wochentage. Gott spricht zehnmal feierlich, und auf sein Wort hin entsteht alles. In diesem Hymnus wird die Welt so dargestellt, wie man sie sich zur damaligen Zeit vorstellte: auf Säulen ruhend, als flache Scheibe mit einem Himmelsgewölbe darüber, an dem die Sterne befestigt sind.
Wer nun meint, die Bibel wolle dieses Weltbild als richtig überliefern und wie eine Reportage erzählen, dass Gott für die Schöpfung sieben Tage gebraucht habe, legt die Bibel falsch aus. Er verwechselt die Botschaft mit der Erzählmethode. Die Methode ergibt sich logischerweise aus der Entstehungszeit (und ist übrigens sehr einprägsam). Die Botschaft ist bleibend aktuell: Gott ist Schöpfer, der Mensch ist ihm verantwortlich und hat die Erde zu behüten und nicht auszubeuten.
Die Bibel ist das Wort Gottes
Christen (und zumindest was das Alte Testament angeht auch Juden) sehen in den Schriften der Bibel die Offenbarung Gottes. Sie sprechen bei der Bibel von einer "Inspiration", einer Wirkung von Gottes Geist. Freilich haben Menschen zu ihrer Zeit für ihren Leserkreis Bücher verfasst. Gott wirkt im Menschen und durch Menschen. In der Bibel gibt es Zeitbedingtes (die damaligen Probleme, die damaligen Vorstellungen). Doch die Botschaft der Bibel ist immer auch Wort aus dem Ewigen. Ähnlich waren ja auch Heilige immer "Künder ihrer Zeit" und gleichzeitig zeitlose Vorbilder.
Die Bibel ist inspiriert: In ihrer Botschaft spricht der Geist Gottes. Die Bibel ist daher mit Vertrauen auf Gottes Wirken anzunehmen. Vieles kann nur der erfassen, der glaubt. Die Bibel ist inspirierend: Durch ihre Inhalte wirkt der Geist Gottes auch heute. Ich kann die biblischen Erzählungen immer danach befragen, was sie für mein konkretes Leben bedeuten.
Die Auslegung geschieht durch das Leben
Die meisten Bücher der Bibel sind nicht in einem Guss entstanden, sondern haben eine zum Teil lange Geschichte. So haben die Evangelisten gehört, was über Jesus mündlich überliefert wurde, und gesammelt, was man über ihn aufgeschrieben hat. Matthäus und Lukas haben das Markus-Evangelium und wahrscheinlich auch eine Sammlung von Jesusworten als Quellen für ihr Evangelium benutzt. Nicht Mose hat die "fünf Bücher Mose" verfasst, sondern was seit seiner Zeit und noch davor mündlich weitergegeben wurde, ist in diesen Büchern zusammengefasst. Diese Erzählungen sind durch die Lebensgeschichte vieler Generationen von Menschen gegangen.
Ebenso geschieht die Auslegung der Bibel nicht allein durch das geistige Verstehen, sondern durch das Leben. Vieles in der Bibel lässt sich befragen: Worum geht es? Welche Personen kommen vor? Wie handeln sie? Was tut Gott? Was tut Jesus? Und dann können wir uns hineinversetzen und uns fragen: Wer könnten wir in dieser Geschichte sein? Was will Gott (Jesus) uns sagen? Die Heilige Schrift greift viele Lebens- und Glaubensprobleme auf, die das Volk Gottes durchgemacht hat.
Ihre bleibenden Erzählungen geben einen Hinweis, dass Gott auch heute in unserem Leben wirkt: Jesus ruft auch heute Menschen, auch heute gibt es Erfahrungen von Heilung, auch heute ringen Menschen mit Gott, besonders in den Fragen von Leid und Ungerechtigkeit.
Sich der Botschaft der Bibel stellen
Welche Bücher letztlich zur "Bibliothek der Bibel" gehören, hat sich im Judentum des ersten Jahrhunderts nach Christus bzw. in der Kirche der ersten Jahrhunderte entschieden.
Es hat ja auch Bücher gegeben, die den biblischen Schriften nachgemacht waren (man nennt sie die Apokryphen oder die Pseudoepigraphen). Ohne die Kirche hätten wir keine Bibel. Die Kirchen haben durch all die Jahrhunderte das Wort Gottes aus ihr verkündet. Die Kirche ist schon deswegen nicht gegen die Bibel auszuspielen, wie dies verschiedentlich versucht wird.
Aber die Bibel ist ein kritisches Buch. Sie legt den Maßstab für die Kirche und für die einzelnen Christen. Die Bibel verstehen kann deshalb nur, wer ihre kritische Botschaft aushält und sich ihr stellt. Es ist Kritik aus Liebe. Denn Gott hat uns Menschen in seine Hand geschrieben. Die Bibel ist die Verdichtung der Erfahrung, dass Gott die Menschen liebt.
Quelle: Herbert Meßner / Sonntagsblatt