Nottaufen: Tück hofft auf Revidierung des Kirchenrechts durch Papst
Soll das Kirchenrecht im Blick auf einen Passus zur Nottaufe geändert werden? Ja, sagt der Wiener Dogmatiker Prof. Jan-Heiner Tück und stellt sich damit auf die Seite von jüdischen Intellektuellen in Italien, die im Juni einen Appell an Papst Franziskus gerichtet hatten. Konkret geht es um Paragraf 868 des Kirchenrechts (CIC, can. 868 § 2), der vorsieht, dass Kinder in Todesgefahr auch gegen den Willen ihrer Eltern getauft werden können. Hintergrund des Appells der Intellektuellen, darunter der römische Oberrabbiner Riccardo Di Segni, ist ein historischer, spektakulärer Fall einer solchen Nottaufe Mitte des 19. Jahrhunderts. Über den "Fall Mortara" sind zuletzt Filme bzw. Dokus erschienen, für 2026 hat selbst Steven Spielberg einen Film über "The Kidnapping of Edgar Mortara" angekündigt.
In einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Bologna hatte Mitte des 19. Jahrhunderts ein katholisches Dienstmädchen den erkrankten jüdischen Sohn der Familie, Edgardo Mortara, heimlich und ohne elterliche Zustimmung getauft. 1858 wurde der sechsjährige Bub dann von der päpstlichen Polizei entführt und in ein katholisches Waisenhaus gebracht. Mortara wurde katholisch sozialisiert, Priester und Augustiner-Chorherr und wirkte dann bis zu seinem Tod 1940 als Geistlicher in Belgien. Papst Pius IX. (1846-78) brachte die Causa den Beinamen "The kidnapping Pope" ein. Einsprüche der Regierungen Frankreichs, Englands und Österreichs beim Heiligen Stuhl gegen die Entführung hatten den Papst unbeeindruckt gelassen. In Folge hatte sich Frankreich als Schutzmacht des Kirchenstaates zurückgezogen - der Anfang des Endes des Kirchenstaates 1870.
Die theologische Frage hinter der Causa lautet laut Tück: "Kann nach der Shoah und nach dem II. Vatikanischen Konzil die alte Lehre von der Heilsnotwendigkeit der Taufe so strikt aufrechterhalten werden? Kann die Sorge vor dem ewigen Heilsverlust als theologisches Argument dafür angeführt werden, dass nach dem kirchlichen Kodex auch heute noch Kinder in Todesgefahr gegen den Willen ihrer Eltern getauft werden?" - Die Fragen würden letztlich ein Dilemma sichtbar machen: Wenn Papst Franziskus die Lehre von der Heilsnotwendigkeit der Taufe revidiert, würde er "innerkirchlich konservative Kritiker auf den Plan rufen, welche die päpstliche Lehrkontinuität einfordern und davor warnen, die universale Heilsbedeutung Jesu Christi abzuschwächen"; auf der anderen Seite würde er jüdische Rückfragen provozieren, wie aufrichtig seine Ablehnung des Proselytismus tatsächlich gemeint sei.
Tück dazu: "Noch hat Papst Franziskus auf den Appell nicht reagiert. Ob der Pontifex den Mut hat, die Konsequenzen zu ziehen und den Paragrafen des Kirchenrechts zu revidieren, bleibt abzuwarten. Zu wünschen wäre es. Die Provokation des Evangeliums aber, dass es an Jesus Christus vorbei auch für Juden kein Heil gibt, müsste Franziskus nicht einklammern, er könnte sie getrost der Weisheit des göttlichen Heilsplans überlassen."
Quelle: kathpress