
Jobgarantie Marienthal: Forscher zieht in ksoe-Podcast Positiv-Bilanz
Noch bis April 2024 läuft in der Gemeinde Gramatneusiedl-Marienthal in Niederösterreich ein besonderes Experiment: Langzeitarbeitslosigkeit und deren soziale Folgen soll dort nicht durch klassische Instrumente der Arbeitsmarktpolitik bekämpft werden, sondern durch eine Arbeitsplatzgarantie. Nun hat einer der Forscher, die das Projekt wissenschaftlich begleiten, der Ökonom Lukas Lehner von der Universität Oxford, im Podcast "361 Grad Sozialkompass" der Katholischen Sozialakademie Österreichs (ksoe) eine positive Zwischenbilanz gezogen: Es sei gelungen, die Langzeitarbeitslosigkeit praktisch auf null zu senken, allen Arbeitswilligen einen Job zu bieten und - was besonders wichtig war - die persönliche Zufriedenheit der Betroffenen durch eine sinnstiftende Tätigkeit deutlich zu steigern.
Konkret konnte über das Projekt bislang 150 Langzeitarbeitslosen in einer Gemeinde mit rund 3.000 Einwohnern ein Job angeboten werden. Rund 100 Jobs sind dabei neu entstanden - u.a. über das Instrument eines Sozialökonomischen Betriebs (SÖB). Die Teilnehmer des Programms erhalten zu Beginn eine zweimonatige Vorbereitung. Anschließend werden sie bei der Suche nach einem geeigneten und subventionierten Arbeitsplatz in der Privatwirtschaft unterstützt oder bei der Schaffung eines neuen Arbeitsplatzes, der auf ihren Fähigkeiten beruht.
Das führe zu einer größeren Zufriedenheit und auch zu einer besseren sozialen Integration der Menschen, berichtete Lehner: "Es geht nicht darum, den Arbeitsplatz als Selbstzweck zu haben, sondern Arbeit kann immer nur Mittel zum Zweck sein. Und wir sehen, dass es den Menschen tatsächlich besser geht, nicht nur materiell, was ihr Einkommen und finanzielle Sicherheit betrifft, sondern auch sozial von der psychosozialen Stabilität. Die soziale Gemeinschaft lebt auf. Die Menschen haben mehr soziale Kontakte, sehen auch mehr Sinn im Leben."
Die Kosten des mit 7,4 Millionen Euro vom AMS Niederösterreich finanzierten Projekts fielen dabei laut Lehner nicht stärker ins Gewicht als die Kosten, die durch reguläre Arbeitslosenunterstützung anfalle (rund 30.000 Euro pro Person). Mehr noch: der Staat profitiere - anders als bei klassischer Arbeitslosenunterstützung - durch steuerliche Einnahmen; schließlich würde bei dem Projekt ein regulärer Lohn gezahlt und auch Steuern und Sozialabgaben von den Teilnehmenden bezahlt. Interesse an dem Projekt zeigten im Übrigen bereits mehrere europäische Länder und auch die Europäische Union, die ähnliche Jobmodelle künftig gezielt fördern werde.
Wünschenswert sei es dem Ökonomen zufolge, wenn das Projekt Jobgarantie auch über den eigentlichen Projektzeitraum, der im Frühjahr 2024 endet, weitergeführt würde. Und: "Unsere Empfehlung lautet, ähnliche Projekte im größeren Maßstab und in anderen Kontexten auszurollen", um so mehr Daten zu sammeln und den Ansatz so weiterzuentwickeln, dass er zu einem echten und praktikablen Werkzeug in der Arbeitsmarktpolitik wird. Es habe sich schon jetzt gezeigt, dass die Jobgarantie "ein realistisches Programm" darstelle, das umsetzbar sei und den Sozialstaat "sinnvoll ergänzen kann" - aber es stärke das Modell, wenn es sich in weiteren Studien auch in anderen sozio-ökonomischen Settings bewähre, so Lehner.
Begrüßt wurde das Projekt auch von ksoe-Direktor und Podcast-Gastgeber Markus Schlagnitweit. Gerade die Perspektive auf sinnstiftende Beschäftigungen und den sozialen und gesellschaftlichen Mehrwert mache das Projekt zu einem interessanten und weiterhin verfolgenswerten Ansatz in der Arbeitsmarktpolitik, so der Theologe und Sozialethiker. Zugleich verwies Schlagnitweit auf historisch bedeutsamen Ort: So war Marienthal schon einmal in den 1930er Jahren Ort einer wegweisenden Feldstudie unter dem Titel "Die Arbeitslosen von Marienthal", in der die Auswirkungen plötzlicher Massenarbeitslosigkeit nach der Schließung einer ortsansässigen Fabrik untersucht wurden. Im Fokus stand damals die Frage, ob Arbeitslosigkeit das "revolutionäre Potenzial" der Arbeitenden wecke bzw. steigere. Im Ergebnis zeigte sich jedoch, dass lange Arbeitslosigkeit nicht zu Revolten, sondern zu Einsamkeit und passiver Resignation führt.
Am 1. Mai startete die ksoe ihren Podcast "361° Sozialkompass". Dessen Ziel ist es, einmal im Monat Expertinnen und Experten aus Theorie und Praxis zu Wort kommen zu lassen, um Orientierungsmöglichkeiten und Lösungswege im Blick auf das Thema "Gute Arbeit" zu präsentieren. Die bisherigen Folgen und auch der Podcast mit dem Ökonomen Lukas Lehner kann unter www.ksoe.at/podcast nachgehört werden.
Quelle: kathpress