Experte: Papst Hoffnungsfigur für krisengeschütteltes Argentinien
Inmitten von Argentiniens schwerer sozialer Krise sowie Rekordinflation und -armut stellt Papst Franziskus für viele eine Hoffnungsfigur dar: Das hat Ernesto Stahringer von der argentinischen Nichtregierungsorganisation "INCUPO" am Mittwoch der Nachrichtenagentur Kathpress geschildert. Die von Stahringer geleitete Partnerorganisation des Welthauses der Diözese Graz-Seckau arbeitet mit Kleinbauern und Indigenen in ruralen Gebieten Nordargentiniens. Auch bei diesen Gruppen seien die Auswirkungen der radikalen Kürzungen des im Dezember gewählten Staatspräsidenten Javier Milei drastisch, schilderte der Experte im Interview.
Obwohl es am Land vergleichsweise weniger Hunger und Gewalt gibt als in den Großstädten, bekommt auch die Landbevölkerung den von Milei als "Politik mit der Kettensäge" bezeichneten radikalen Sparkurs deutlich zu spüren, berichtete Stahringer. "Die Maßnahmen haben dazu geführt, dass nun alle Menschen weniger Geld haben, viele verarmt sind und die soziale Sicherheit wegfällt. Die Schließung der Einrichtungen, welche die indigene Bevölkerung in ihren Rechten verteidigten, wird ihre Diskriminierung wieder steigen lassen. Dass nun auch das Nationalinstitut für familiäre Landwirtschaft eingestellt und geförderte Transportmittel eingezogen wurde, ist für die Bauern und Viehzüchter eine Hiobsbotschaft."
Für genau diese Gruppen setzt sich die argentinische Partnerorganisation des Welthauses Graz "INCUPO" seit Jahrzehnten in fünf Provinzen des Landes ein, durch Maßnahmen zur Stärkung landwirtschaftlicher Familienbetriebe. Mit dem Projekt "Alianza" besteht seit 2022 auch eine vom österreichischen Umweltministerium geförderte Kooperation mit steirischen Bauern, in der gemeinsam nachhaltige Modelle der Tierhaltung untersucht und notwendige Änderungen der Ernährungssysteme analysiert werden. Die Zielgruppe ist riesig: 80 Prozent der in Argentiniens Landwirtschaft Tätigen arbeiten in kleinen und mittleren Familienbetrieben, ihr Anteil an der Produktion ist mit 20 Prozent jedoch gering.
Der Mammutanteil der Ernte wird von Konzernen und Fonds für den Export erzeugt - von jenem Sektor also, der von Mileis Kürzungen nicht betroffen ist. Dieser Ansatz sei eine "Sackgasse", befand der INCUPO-Geschäftsführer, demzufolge ein anderer Weg aus der Krise führt. "Was wir brauchen, ist nicht ein kommunistisches System, sondern eine Demokratisierung der Landwirtschaft." Um zumindest einen großen Teil der Bevölkerung aus der Armut zu retten, müsse die Regierung durch gezielte Förderungen die kleinen Produzenten zu Protagonisten machen und den Großen ihre Grenzen aufzeigen.
"Papst der Armen"
Davon will Javier Milei freilich nichts wissen. Der Präsident war im Februar von Papst Franziskus im Vatikan empfangen worden, wobei Fotos der Umarmung beider den Eindruck eines herzlichen Treffens erweckten. In Argentinien sei die Begegnung als "lügnerischer Akt Mileis" verstanden worden, sagte Stahringer. Allen sei schließlich klar, dass Milei nicht nur im Wahlkampf gegen den Papst Tiraden gefahren habe, sondern auch mit seiner Linie klar im Widerspruch zu ihm stehe. Franziskus sei "auf diplomatisch-christliche Weise" nicht auf die Provokationen hereingefallen und habe zum bösen Spiel gute Miene gemacht, befand der argentinische Experte.
Denkwürdig sei diese Begegnung auch deshalb gewesen, da Papst Franziskus mit seiner Enzyklika "Laudato si", der Amazonien-Synode und seinen Äußerungen zu Argentinien ständig Alternativen aufzeige und dabei ebenfalls einen drastischen Wandel einfordere. Dieser sei aber im Unterschied zu Mileis Weg "gemeinsam mit dem Volk und mit der Umwelt", sagte Stahringer. Für viele auch nicht-kirchliche NGOs sei der Pontifex damit zu einem wichtigen Referenzpunkt geworden. Seine Landsleute in Argentinien seien "stolz, dass ein Papst aus Argentinien es geschafft hat, dass sich die Kirche derart klar auf die Seite der Armen und der Natur stellt".
Kirche ergreift Partei
Entsprechend habe bisher auch die Ortskirche des Andenlandes für die Benachteiligten Partei ergriffen. "Schon in den vergangenen Jahren warnten die Bischöfe ständig vor einer Verschlechterung der sozialen Situation, waren in ihrer Vernetzung mit den Kirchenvertretern der Nachbarländer die Stimme der Territorien und unterstützten den sozialen Fortschritt", berichtete der INCUPO-Geschäftsführer. Die kritische Haltung sei unter Milei fortgesetzt worden, zuletzt mit einer äußerst kritischen Zwischenbilanz von dessen ersten 100 Tage im Amt durch die kirchliche Nationalkommission "Gerechtigkeit und Frieden".
Ungewiss zeigte sich Stahringer angesichts Spekulationen, Papst Franziskus werde Argentinien besuchen. Stets sei Franziskus diesbezüglich sehr vorsichtig gewesen und habe betont, er sei "Papst der Welt, nicht von Argentinien", wenngleich man in seiner Heimat für dessen an sie gerichteten Botschaften - "von Fußball bis zur sozialen Situation" - sehr hellhörig sei. Zumindest offen gelassen habe er dabei die Türe für einen Besuch immer, zeigte sich der Experte hoffnungsvoll. (Weitere Infos: graz.welthaus.at/alianza)
Quelle: kathpress