"Papst Franziskus ist alles zuzutrauen"
Nach der Gemeinsamen Erklärung von Vatikan und Lutherischem Weltbund (LWB) zum weiteren Vorgehen in der Ökumene hat Kardinal Kurt Koch zuletzt das Ziel definiert, auch in den theologisch umstrittenen Fragen der Abendmahlsgemeinschaft, des Amts- sowie des Kirchenverständnisses solche Gemeinsamen Erklärungen zu formulieren. Ist also die Ökumene bereits zum Greifen nahe? Ganz so leicht wird es nicht werden, zeigt sich der Salzburger Ökumene-Experte und Kirchenhistoriker Dietmar Winkler skeptisch. Gewiss, das in Lund Gesagte dürfe "nicht nur ein frommer Wunsch" bleiben, sondern müsse "konkrete Formen" annehmen - der Weg werde jedoch theologisch steinig; und die Kirchen täten gut daran, auf bereits erreichte theologische Einigungen und gemeinsame Dialogdokumente zurückzugreifen.
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Herr Prof. Winkler, Vatikan und Lutherischer Weltbund haben in Lund eine Gemeinsame Erklärung unterzeichnet, die als Ziel künftigen ökumenischen Bemühens ausdrücklich die Frage des gemeinsamen Abendmahls benennt. Ist dieses Ziel ein "frommer Wunsch" oder ist man in dieser Frage einer Klärung schon sehr nahe?
Das darf nicht nur einfach ein frommer Wunsch sein, sondern muss auch konkrete Formen annehmen. Der evangelisch-katholische Dialog hat schon 1967, gleich nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, begonnen und bereits 1971 mit dem sogenannten Malta-Bericht ein hervorragendes Grundlagendokument herausgebracht. Schon von da an hat man den Blick auf die Gemeinschaft am Tisch des Herren, also auf die Eucharistie bzw. das Abendmahl, geworfen. Es gibt aus diesem Dialog auch schon ein explizites Dokument zum "Herrenmahl" (1976), das von der Heiligen Schrift und von der Liturgie her ein Gesamtbild der Eucharistie entwerfen will. Ich hoffe, dass man bei der Weiterarbeit nicht wieder von vorne beginnt, sondern diese zum Teil hervorragenden Texte rezipiert und zu Konkretionen kommt. Lutheraner und Katholiken sind im Dialog schon ein erhebliches Stück gemeinsamen Weges gegangen. Die Begegnung in Lund, wie wir sie nun erlebt haben, wäre ohne diesen "Weg zur Gemeinschaft", wie ein evangelisch-katholisches Dialogprojekt hieß, nicht möglich gewesen.
In der Frage des gemeinsamen Abendmahls gibt es ja (noch) zwei "Lager": Jene, die diesen Schritt nach vorne bereits jetzt wünschen, um mit diesem Rückenwind dann auch die weiteren Streitpunkte (Amtsfrage/Kirchenverständnis) zu klären. Und dann jene, die die Eucharistie erst als Höhepunkt ökumenischer Einheit sehen. Welcher Lesart ist Ihrer Ansicht nach der Vorzug zu geben?
Vereinfacht gesagt, hat die evangelische Kirche den Ansatz, dass das Abendmahl nicht nur Gemeinschaft mit Jesus Christus und untereinander bewirkt, sondern es auch ein Schritt auf dem Weg zur Einheit sein kann. Für die katholische Kirche ist die Voraussetzung für die gemeinsame Eucharistiefeier die volle Übereinstimmung im Glauben. Hier haben wir also zwei unterschiedliche Ansätze. Wenn man nun eine Verständigung in Bezug auf das gemeinsame Abendmahl erzielen möchte, wird vor allem das Kirchenverständnis und die Amtsfrage zu klären sein. Die katholische Kirche geht ja implizit noch immer von einer Art "defectus ordinis" bei den Lutheranern aus, das heißt sie stünden nicht in der rechten apostolischen Nachfolge, weil die bischöfliche Ordination fehlte. Damit sei dann auch die Wirklichkeit der Gegenwart Christi im Abendmahl beeinträchtigt. Die lutherische Theologie geht aber, so wie Katholiken, von der realen Präsenz Christi im Abendmahl aus. Man wird sich also überlegen müssen, ob man apostolische Nachfolge wirklich nur als bischöfliche Sukzession definieren kann. Hier wäre sicher ein Neuansatz notwendig, der erkennt, dass Apostolizität immer die Rückbindung auf die Wurzel des Glaubens meint, die immer Jesus Christus ist. Gerade die lutherische Theologie, die sich explizit auf die Schrift beziehen will, geht solcherart immer in die apostolische Zeit zurück und schöpft daraus.
Kardinal Koch hat sogleich nach der Gemeinsamen Erklärung von Lund bekundet, eine weitere Erklärung über Kirche, Eucharistie und Amt forcieren zu wollen. Wie realistisch ist das? Sind die offenen Fragen tatsächlich so marginal, dass sie sich mit dem Rückenwind von Lund quasi mit einem Fingerschnippen erledigen lassen?
Kardinal Kurt Koch hat die Verständigung über Kirche, Eucharistie und Amt mit dem Lutherischen Weltbund richtigerweise als "nächste Aufgabe" angekündigt. Hier könnte gut von den bisher erreichten Dialogergebnissen weitergearbeitet werden. Allerdings wird das keineswegs mit einem Fingerschnippen - und dies hat Kardinal Koch mit Sicherheit nicht gemeint - bewältigbar sein. Im Zusammenhang mit der Eucharistie ist ja nicht nur die erwähnte Amtsfrage zu klären, sondern auch die Anerkennung als echte Kirchen. Ich halte den Begriff "kirchliche Gemeinschaften" in diesem Zusammenhang für unangebracht. Dies meine ich nicht nur theologisch, sondern auch im historischen Kontext der Entstehung des Ökumenismusdekrets des Zweiten Vatikanischen Konzils. Das dritte Kapitel dieses Dekrets spricht die von der römisch-katholischen Kirche getrennten "Kirchen" und "kirchlichen Gemeinschaften" an. In jüngerer Zeit wurde "kirchlichen Gemeinschaften" dazu benützt, vor allem jene Kirchen der Reformation zu bezeichnen, denen gemäß katholischer Auslegung die volle Kirchlichkeit abgesprochen wird. Dies war aber in dieser Weise nicht die Absicht des Konzils. Es war übrigens Kardinal Franz König, der diesen Begriff in seiner Konzilsrede zum Ökumenismusdekret vorschlug. Das Dokument ist ja grundsätzlich in einem positiven Ton verfasst und nicht als negative Abgrenzung gedacht. Überdies spricht das Ökumenismusdekret im entsprechenden Kapitel von den "Getrennten Kirchen und Kirchlichen Gemeinschaften im Abendland", ohne näherhin zu definieren, welche Gemeinschaft nun das eine oder andere sei. Dies hat noch einen anderen Grund, der in der heutigen Diskussion ausgeblendet wird: Innerhalb des Ökumenischen Rates der Kirchen finden sich auch Gemeinschaften, die aufgrund der negativen historischen Erfahrungen mit den Großkirchen aus sich selbst heraus den Begriff "Kirche" als Eigenbezeichnung vermeiden. In diesem Sinne war der Vorschlag von "kirchlichen Gemeinschaften" zu sprechen, insgesamt ein positives Zugehen auf diese Christinnen und Christen und eine Wertschätzung ihres Selbstverständnisses.
Darauf folgte dann im Jahr 2000 ein herber Rückschlag...
Sie sprechen das Dokument "Dominus Iesus" der Glaubenskongregation an. Ja, daraus sprechen bis heute spürbare Kräfte des Beharrens. In dem Dokument wird festgestellt, dass "kirchliche Gemeinschaften", die zwar vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit haben, aber denen apostolische Sukzession fehlte, "keine Kirchen im eigentlichen Sinn" seien. Diese Interpretation entspricht aber in keiner Weise der ursprünglichen Intention Kardinal Königs und des Ökumenismusdekrets. Eine solche Auslegung 36 Jahre nach dessen Verabschiedung kann der kirchenhistorischen Quellenanalyse des Konzils nicht standhalten. Während das Konzil mit seiner Begrifflichkeit gerade die von Natur aus bestehende Kirchlichkeit wertschätzen möchte, grenzt das Dekret der Glaubenskongregation negativ aus. Dies stellt aus meiner Sicht einen fehlgeleiteten Rezeptionsprozess des Konzils dar und begreift nicht die positive Grundkonstante der Sprache des Ökumenismusdekrets. Überdies ignoriert sie die nachkonziliaren ökumenischen Fortschritte auf Basis der Konzilstexte.
Die suggestive Anpacker-Rhetorik im Kielwasser der Lund-Erklärung scheint ein wenig die Frage zu verdrängen, welches Ziel die Ökumene eigentlich verfolgt - sprich: welches Modell von Einheit man will. Was ist diesbezüglich eigentlich "Stand der Dinge" im ökumenischen Dialog?
Es scheint derzeit eher so, dass jede Kirche in das Konzert der Ökumene gerade ihr eigenes Kirchenverständnis als Ökumenemodell bzw. als Modell für die Einheit der Christenheit vorschlägt. Da kommt man dann auch schlecht weiter, wenn die einen von Altar- und Kanzelgemeinschaft in einem eher freieren Kontext sprechen, andere wiederum die "volle Einheit" wohl als eine Art Einheit im Bischofsamt verstehen. Hier schwingt oft viel Unausgesprochenes mit und bedürfte einer genaueren Darlegung, was denn nun jede Kirche konkret unter "voller Einheit" versteht. Es gibt ja auch evangelikale Freikirchen, denen das überhaupt kein Anliegen ist, während etwa Lutheraner, Orthodoxe und Katholiken hier sehr wohl den Bedarf der Einheit der Kirche Jesu Christi sehen.
Wäre es eigentlich denkbar, dass - ähnlich der "Lösung" der Wiederverheirateten-Frage in "Amoris laetitia" - Papst Franziskus die Frage der Zulassung evangelischer Christen zur Eucharistie an die Ortskirchen zurückspielt bzw. auch in dieser Frage ein dezentrales Lösungsmodell verfolgt?
Papst Franziskus ist, wie das bisherige Pontifikat bisher zeigt, alles zuzutrauen. Das finde ich schön und faszinierend. Zunächst würde ich allerdings ein Rückspielen auf die Ortskirchen in diesen komplexen Fragen eher nicht erwarten. Es könnte aber zielführend sein, dass eine Ortskirche einen konkreten Auftrag übernimmt, die die Beziehungen zwischen evangelisch-lutherischer und katholischer Kirche bestens kennt und deshalb aus dem Schwung, den man von Lund mitnehmen könnte, neue Impulse kreiert. So hat ja der Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen in Deutschland in den 1980er Jahren unter Federführung von Kardinal Karl Lehmann und Wolfhart Pannenberg die viel beachtete Studie "Lehrverurteilungen - kirchentrennend?" hervorgebracht. Das ist sicherlich ein hervorragendes Beispiel regionaler ökumenischer Pionierarbeit.
Abschließend: Immer wieder wird im Blick auf Franziskus von einem "frischen Wind" oder einem "Franziskus-Effekt" gesprochen: Gibt es den in der Ökumene auch? Und wenn ja: Worin zeigt er sich?
Wie die Begegnung in Lund und auch viele andere ökumenische Begegnungen - ich könnte da auch auf jene mit den Ostkirchen, wie etwa dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I., oder dem koptischen Papst Tawadros II. hinweisen - gezeigt haben, kann Papst Franziskus etwas ganz Wesentliches zeigen: Aufeinanderzugehen, Vertrauensbildung, den Anderen annehmen, unkonventionelle Schritte setzen und sich auch an nicht belasteten Orten treffen (wie etwa das Treffen mit dem russischen Patriarchen in Kuba). Dies ist alles sehr wichtig, in seiner Symbolik herausragend, und bricht vieles auf, weil sichtbar wird, dass nicht nur theoretisch herumgeredet wird, sondern auch Einheit konkret werden kann. Allerdings werden wir auch nicht darum herumkommen ebenso konkrete theologische Schritte zu setzen, die bleibend sind und nachhaltig wirken.
Das Interview führte Henning Klingen