
11. Dezember
Elvira und Martina
11. Dezember
Elvira und Martina
Mein Mann musste im russisch-besetzten Osten der Ukraine zurückbleiben, bei seinem Vater und seiner Arbeit als Programmierer. In dieser Situation war ich sehr froh, als ich von der „Drehscheibe“ hörte. Das ist ein Second Hand Laden im Dorf Mutters nahe Innsbruck, wo gespendete Sachen kostenlos abgegeben und weiter gegeben werden – eben eine Drehscheibe.
Geflüchtete, Armutsgefährdete, aber auch Menschen, die aus ökologischen Gründen nicht alles neu kaufen wollen, können hier Kleidung für alle Altersstufen, Schuhe, Spielsachen, Haushaltssachen, kleine Elektrogeräte etc. ohne Gegenleistung mitnehmen.
Martina, die dieses Geschäft für den Verein „MIM -Miteinander im Mittelgebirge“ führt, war mir sofort sympathisch. Weil ich ja viel Zeit hatte, bot ich ihr nach dem zweiten „Einkauf“ meine Mithilfe an. Erstens konnte ich so anderen helfen, vor allem in dem ich für andere ukrainische KundInnen übersetzte. Und zweitens hatte ich hier die Gelegenheit Deutsch zu sprechen und zu üben. Dass ich mittlerweile die B2 Prüfung bestanden habe, verdanke ich ein Stück weit auch Martina. Sie hat sich immer bemüht, deutlich mit mir zu sprechen und mir neue Vokabeln beizubringen. Interessant ist es auch, Menschen aus so verschiedenen Ländern und in verschiedenen Situationen kennen zu lernen.
Bis ich in meinem erlernten Beruf als Mathematik- und Informatikprofessorin hier arbeiten kann oder zumindest eine andere Arbeit zum Geldverdienen gefunden habe, möchte ich auf jeden Fall, weiter zweimal in der Woche in der „Drehscheibe“ mithelfen.

Elvira Plitnychenko
Elvira und ich haben uns von Anfang gut verstanden. Sie ist mir eine große Hilfe, da meine Arbeitszeit von 20 Stunden für die Arbeit in der sehr gut besuchten „Drehscheibe“ bei weitem nicht ausreicht, und ihre Ukrainischkenntnisse sehr hilfreich sind. Mittlerweile hilft sogar Elviras 17-jährige Tochter schon mit, wenn es die Schule so knapp vor der Matura zulässt. Elvira wird auch von den KundInnen sehr geschätzt. Immer wieder höre ich die Frage: „Ist Elvira heute nicht da?“
Unser Kontakt geht mittlerweile über die gemeinsame Arbeit hinaus. Wir feiern bei einem Eis eine bestandene Prüfung und machen hin und wieder einen gemeinsamen Ausflug. Auch wenn im Laden viel los ist, versuchen wir ein bisschen Zeit für Kaffee, Kuchen und ein Gespräch zu finden. Es macht mich sehr betroffen, wenn Elvira von ihren Sorgen erzählt und den immer häufiger werdenden staatlichen Kontrollen. Um nur ein aktuelles Beispiel zu nennen, musste sie zuletzt schriftlich auf dem Amt erklären, warum sich ihre Tochter die Teilnahme an einer Klassenfahrt leisten konnte. Ich denke, es tut ihr gut, dass sie spürt, dass nicht alle ÖsterreicherInnen solche Vorgangsweisen gerecht finden.
Ich wünsche Elvira alles Gute, dass sie bald für sich und ihre beiden Jugendlichen eine Wohnung findet und nicht mehr zu dritt in einem Zimmer leben muss und natürlich auch, dass sie bald als Lehrerin arbeiten kann. Auch wenn sie dann nicht mehr so oft in die „Drehscheibe“ kommt, werden wir den Kontakt sicher halten!
Martina Seiwald