TV-Gespräch von Schönborn und Wagner jetzt als Buch
Das TV-Gespräch zwischen Kardinal Christoph Schönborn und der früheren Ordensfrau Doris Wagner (Reisinger) war ein Medien-Ereignis der besonderen Art: Erstmals stellte sich einer der höchsten kirchlichen Amtsträger bei laufender Kamera einem unmoderierten Gespräch über Missbrauchserfahrungen in der Kirche und deren Ursachen. Am Dienstag erscheint es ungekürzt unter dem Titel "Schuld und Verantwortung. Ein Gespräch über Macht und Missbrauch" im "Herder"-Verlag. Die Initiative für das Gespräch war von Kardinal Schönborn ausgegangen, der im Blick auf das Buch jetzt auf seiner Facebook-Seite schreibt: "Ich glaube es war ein echter Dialog, kein Aneinander-Vorbeireden."
Doris Wagner und ich haben in unserem mehrstündigen Gespräch versucht, ehrlich hinzuschauen, Erfahrungen auszutauschen, Diagnosen zu stellen.
So Schönborn in seinem Posting. Und weiter:
Das Thema ist zu ernst, es gibt zu viele Verwundete als dass wir wegschauen oder uns hinter Positionen verstecken dürften. Nur die Wahrheit macht frei.
Diskussion auf Augenhöhe
In dem 128-seitigen Buch findet sich nach Angaben des Verlags das vollständige, fast vierstündige Gespräch, das weit über die gezeigten TV-Ausschnitte hinausgeht. "Beide teilen persönliche Erfahrungen und Erlebnisse, sprechen offen und deutlich. Es ist eine Diskussion auf Augenhöhe, auch kontrovers, bei der es beiden um die zentralen Themen der Missbrauchskrise geht", heißt es in der Ankündigung, in der Kardinal Schönborn zitiert wird mit den Worten:
Ich bin als Bischof in einer Doppelfunktion: Ich bin Hirte für die Gläubigen und auch für die Priester, und ich bin Richter. Das kann einem das Herz zerreißen, weil ich natürlich zuerst an die Opfer denke, aber dann auch den Menschen sehe, der zwar das Leben anderer schwer, manchmal lebenslang belastet hat, der aber selber auch ein Mensch ist.
Bei der am 6. Februar erstmals im Bayerischen Rundfunk (BR) und dann auch im ORF ausgestrahlten TV-Doku hatte der Kardinal davon gesprochen, dass die katholische Kirche in der Frage des Missbrauchs noch viel Arbeit vor sich habe. Es brauche noch mehr entsprechendes Bewusstsein bei den Verantwortungsträgern und strukturelle Reformen. Schönborn unterstrich in dem Gespräch, das noch vor dem späteren vatikanischen Kinderschutzgipfel (21.-24. Februar) stattgefunden hatte, dass es Strukturen und Systeme in der Kirche gibt, die Missbrauch begünstigten. Dabei gehe es vor allem um ein Machtungleichgewicht, eine "Dynamik des Schweigens" und ein nicht selten übersteigertes Priesterbild, welches die Gefahr des "Autoritarismus" berge. "In so einem System kann es gar nicht nicht zu Missbräuchen kommen, denn die ganze Struktur ist missbräuchlich", wird die ehemalige Ordensfrau Wagner in der Verlagsankündigung zum Buch zitiert.
Wagner lebte acht Jahre lang in der Ordensgemeinschaft "Das Werk". Dort wurde sie nach ihren Angaben von einem Priester vergewaltigt und von einem weiteren sexuell bedrängt. Zudem habe sie keinerlei Privatsphäre gehabt. "Am Ende war ich so gebrochen, dass ich mich auch gegen die Vergewaltigung durch einen Priester nicht mehr wehren konnte", sagte Wagner. Inzwischen setzt sich die Publizistin für eine Aufarbeitung von sexuellem und geistlichem Missbrauch in der Kirche ein. Das in Auszügen gesendete TV-Gespräch mit Schönborn hatte Wagner als Hoffnungszeichen bezeichnet. Erstmals habe ein hoher Geistlicher eingeräumt, ihren Missbrauchsschilderungen zu glauben. Dagegen sprach das höchste Vatikangericht zuletzt einen von Wagner des Missbrauchs beschuldigten Priester frei.
Die BR-Dokumentation "Missbrauch - eine Frau kämpft um Aufklärung" wurde im Rahmen der 30. "Romy"-Preisverleihung am 13. April mit dem Preis der Akademie ausgezeichnet. Der Regisseur der BR-Doku, Stefan Meining, sprach von einer "unglaublichen Spannung" die sich beim Dreh entwickelt habe und die er so noch nie erlebt habe. Am Ende hätten Schönborn und Wagner das gesamte Material ohne Einschränkungen freigegeben. "Für mich war das ein großer Vertrauensbeweis", erklärte Meining.
Quelle: kathpress