Ein Jahr nach dem Anti-Missbrauchsgipfel im Vatikan
Etlichen Kommentatoren stand am Ende die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Anstatt sofortige klare Regeln in Kraft zu setzen, sprach Papst Franziskus beim Anti-Missbrauchsgipfel im Vatikan vor einem Jahr in seiner Schlussrede vom Teufel - davon, dass Missbrauch überall vorkomme, auch wenn dies in der Kirche besonders schlimm sei. Immerhin, so ein wohlwollenderes Fazit, könne jetzt niemand in der katholischen Kirche mehr sagen, das Thema gehe ihn nichts an.
Und so hat der Gipfel Ende Februar 2019, an dem die Vorsitzenden der weltweiten Bischofskonferenzen und Ordensvereinigungen teilnahmen, mancherorts die von Franziskus intendierte Initialzündung geliefert. Schwester Jacinta Ondeng etwa brachte er aus Nairobi nach Rom. Als sie die Berichterstattung aus dem Vatikan verfolgte, stieß die Psychotherapeutin und Dozentin auf das Kinderschutzzentrum CCP an der Päpstlichen Universität Gregoriana. "Das brauche ich", dachte sich Schwester Ondeng, die in Kenia mit Ordensleuten und Seminaristen arbeitet.
Veranlasst durch den Missbrauchsskandal änderten Kenias Bischöfe ihre Haltung zum Sexualkundeunterricht in der Schule, entwickelten Präventionsmaßnahmen und Unterrichtsmaterialien zum Thema, Fortbildungsprogramme in Gemeinden und Bistümern. "Wir sind dabei, eine neue Kirche zu machen", so die Ordensfrau.
"Verglichen mit anderen Ländern wird in Italien noch viel unter den Teppich gekehrt", räumt Schwester Grazia Vittigni ein. Die Gesellschaft sei bei dem Thema weiter als die Kirche, so die Psychotherapeutin aus Mailand, die derzeit in der Diözese Albano bei Rom die Präventionsarbeit koordiniert.
In Italien sei der Krisengipfel nochmals wesentlicher Anstoß gewesen: Die Bischofskonferenz überarbeitete Richtlinien, schuf ein nationales Büro, und jede Diözese benannte einen Ansprechpartner. Doch Schwester Grazia warnt: "Strukturen allein genügen nicht, es braucht Ausbildung, Bewusstsein und persönliches Engagement."
Beide Frauen gehören zu den inzwischen gut 100 Teilnehmern aus 46 Ländern, die am CCP einen Studiengang in "Safeguarding" absolviert haben. Das Zentrum hat zudem ein Netzwerk mit weltweit rund 70 Partnerinstitutionen gesponnen. Maßgeblich vorangetrieben hat es der Theologe und Psychologe Hans Zollner. Er gehörte zu den Organisatoren des vom Papst angeordneten Treffens der Vorsitzenden aller Bischofskonferenzen und Ordensvereinigungen.
Neue Erlässe und Aus für Päpstliches Geheimnis
Am Ende des Anti-Missbrauchsgipfels gaben die Veranstalter damals weitere Maßnahmen bekannt. Dazu gehörten ein Papst-Erlass "zum Schutz von Minderjährigen und schutzbefohlenen Personen" für den Staat der Vatikanstadt. Dann, mit dem Etikett "Vademecum" versehen, eine bislang immer noch nicht erschienene Handreichung, wie Bischöfe bei Verdachtsfällen von Missbrauch vorgehen sollen.
Von einer "Task Force", die in weniger gut ausgestatteten Ortskirchen Hilfseinsätze gegen Missbrauch und Vertuschung leisten soll, ist seither nicht mehr die Rede. Nicht vorgelegt wurde bislang eine angekündigte Statistik, wie viele und welche Verfahren die vatikanische Glaubenskongregation, in Rom zuständig für die Verfahren, bisher abgeschlossen hat.
Das bisher gewichtigste Einzelergebnis nach dem Krisengipfel ist sicher der Papst-Erlass "Vos estis lux mundi" vom 9. Mai. Darin regelt Franziskus weltweit, wie Verantwortliche bei auftretenden Verdachtsfällen verfahren sollen. Vor allem regelt er Verantwortung und Rechenschaftspflicht von Bischöfen. Das Stichwort "accountability" war schon vor dem Gipfel verstärkt zur Sprache gekommen.
Im Dezember noch kippte der Papst die besondere Vertraulichkeitsstufe des Päpstlichen Geheimnisses bei Vorgängen rund um Missbrauch. Die Kooperation mit staatlichen Behörden kann damit nicht mehr verweigert werden. Auch setzte der Vatikan die Altersgrenze für sogenannte kinderpornografische Darstellungen von 14 auf 18 Jahre herauf.
Noch viel Arbeit nötig
Pater Federico Lombardi, Moderator des Krisengipfels vor einem Jahr, fasste unlängst in einem Artikel die weltweite Lage zusammen. Nicht nur er sieht auch in anderen Institutionen und Umfeldern noch viel Arbeit, um besser gegen Missbrauch vorzugehen. Gilles Ken aus Papua-Neuguinea etwa, derzeit ebenfalls am CCP in Rom, berichtet, wie er und einige andere staatliche Stellen antreiben müssten, die im Land schon geltenden Gesetze auch durchzusetzen.
Gleichwohl sind kirchliche Mitarbeiter sehr zurückhaltend, anstehende Maßnahmen gegen Missbrauch etwa in Sport, Schule oder Jugendarbeit einzumahnen. Dazu habe die Kirche selber noch "zu viel Dreck am Stecken" und "weiter eigene Hausaufgaben zu machen". Spürbar ist dies auch im Heimatland des Papstes.
Auch wenn die Situation in Argentinien nicht so schlimm scheine wie in Chile, habe sich die Lage für die Kirche dramatisch verschlechtert, berichtet Juan Pablo Dreidemie. Mitunter schlage Kirchenvertretern reiner Hass entgegen, so der Priester. Überall im Land aber wachse das Bewusstsein für sexuelle Gewalt gegen Frauen wie auch Minderjährige.
"Jedes Mal, wenn die Kirche eine Veranstaltung zu dem Thema hält, ist diese voll - anders als bei anderen Angeboten. Auch Vertreter anderer Institutionen kommen zu unseren Schulungen", berichtet Dreidemie. Oder wie Hans Zollner, als Referent für "Safeguarding" international unterwegs, immer wieder von seinen Reisen twittert: "Das Netz breitet sich aus."
Quelle: kathpress