Sterbebegleiter: "Die Hoffnung raubt man mit der Lüge"
Von seinen Erfahrungen mit Sterbenden hat der Theologe, Psychoanalytiker und Sterbebegleiter Erich Lehner in einem Interview in der Tageszeitung "Die Presse" (Sonntag) berichtet. "Niemandem nimmt man die Hoffnung, wenn man ihm die Wahrheit sagt. Im Gegenteil", so Lehner:
Die Hoffnung raubt man ihm vielmehr mit der Lüge. Denn nur wer weiß, wie es um ihn wirklich steht, weiß, worauf er hoffen kann. Andernfalls bleibt alles im Unsicheren.
Sehr oft sei die Realität entlastend, "weil man sich dann besser auf die Situation einstellen kann".
Jeder Sterbende wisse im Grunde, wie es um ihn steht. Er merke es auch an den Blicken und dem Verhalten seiner Umgebung. Und je weniger über die Situation gesprochen wird, desto mehr führe dies den Sterbenden in Einsamkeit und Isolation.
Die Frage, ob er religiöse Menschen im Sterbeprozess anders erlebt habe als andere, verneinte Lehner: "In meiner Wahrnehmung nicht. Sobald es ans Sterben kommt, kann ich nicht mehr sagen, ob jemand gläubig ist oder nicht. Eine der furchtbarsten Phasen im Sterben ist jene, in der alles - auch der eigene Glaube - infrage gestellt wird. Diese Phase erlebe ich bei Gläubigen noch viel schrecklicher, denn sie verlieren dann ihren letzten Halt. Aber wie gesagt: Es ist eine Phase." Viele hätten Angst, aber nicht alle.
Ältere Menschen würden auch nicht leichter als jüngere sterben. "Für jeden Menschen, egal, wie alt er ist, ist es eine Herausforderung, sich mit seinem nahenden Ende auseinanderzusetzen", so Lehner und weiter: "Nur weil jemand alt ist, hat er noch lang nicht mit seinem Leben abgeschlossen, sondern er hat immer noch gute Gründe weiterzuleben." Selbst wer abschließt, bleibe ambivalent und im Fragemodus.
Konflikte spitzen sich im Sterben zu
Lehner: "Menschen sterben so, wie sie gelebt haben. Das ist ein Grundsatz, den ich nicht moralisch verstanden wissen will. Die Vorstellung, dass es in den letzten fünf Wochen zu den großen Einsichten und einem Wandel kommen wird, fällt unter Sterberomantik." Vielmehr würden sich die familiären Konflikte im Sterben eher zuspitzen. Er habe des Öfteren die ärgsten Auseinandersetzungen im Sterbezimmer erlebt, so Lehner: "Alles, was man im Leben nicht gelöst hat, löst man am Ende schon gar nicht mehr. Aber schließlich hat man ja auch ein Leben lang dafür Zeit gehabt." Sehr oft sei es deshalb seine Aufgabe, "den Sterbenden zu helfen, genau damit zurande zu kommen", erläuterte der Sterbebegleiter: "Es ist, wie es ist. Aber Sterbenden kann es helfen zu betrauern, was sie im Leben versäumt haben und was schiefgelaufen ist. Sterben ist ein Trauerprozess."
Viele Menschen mache dies Ehrlichkeit auch frei, so Lehner: "Die Realität zu verleugnen ist eine große Anstrengung und Last. Einfacher ist es zu sagen: 'Ich bin dem Falschen nachgelaufen. Und das tut sehr weh.'"
Quelle: kathpress