Evolutionsbiologe: Selbst Wissenschaftler haben religiöse Denkweisen
Vom englischen Schriftsteller und Journalisten Gilbert Keith Chesterton (1874-1936) stammt das Zitat "Seitdem die Menschen nicht mehr an Gott glauben, glauben sie nicht etwa an nichts, sondern an alles." Zustimmung zu dieser These kommt nun nicht etwa von religiöser Apologeten, sondern vonseiten der Evolutionsbiologie: Selbst Naturwissenschaftler verfügten nämlich über religiöse Denkweisen, etwa dort, wo Thesen für wahr gehalten würden, sagte der Evolutionsbiologe Michael Muthukrishna im "Furche"-Interview (12. März).
Und so formuliert Muthukrishna, der in Harvard Evolutionsbiologie und an der London School von Economics Wirtschaftspsychologie lehrt, in Anlehnung an Chesterton: "Verschwindet eine entwickelte Religion wie das Christentum, dann werden die Menschen nicht zu hyperrationalen Wissenschaftlern, sondern sie ersetzen die Religion durch andere Spiritualitäten, durch Aberglauben oder durch einen dogmatischen Wissenschaftsglauben."
Am Ende gehe es nämlich - in der Wissenschaft wie im weitgehend säkularen Alltagsleben - um so etwas wie das psychologische Spiel mit dem Glauben, d.h. mit dem Glauben daran, dass eine These wahr sei. Als Beispiel nannte Muthukrishna etwa die Angst vor Keimen oder Krankheitserregern oder auch den Glauben an die Menschenrechte: Auch wenn man Krankheitserreger beispielsweise nicht mit bloßem Auge sehe, so glaube der Mensch doch daran, schlicht "weil es alle Menschen um uns herum auch tun" und uns Wissenschaftler dies nahelegen. Es gehöre aber ein stückweit Glauben dazu.
Gleiches gelte für die Menschenrechte und die Behauptung der Gleichheit aller Menschen: Die Realität zeige aber, dass die Menschen sehr ungleich seien. Insofern könne man sagen: "Die Menschenrechte sind ebenso eine religiöse Überzeugung wie die Gleichheit von Mann und Frau."
Muthukrishna äußerte sich gegenüber der "Furche" am Rande des Symposions Dürnstein, das sich heuer vom 5. bis 7. März dem Thema "Erbschaften: Kultur. Natur. Identität" widmete. Muthukrishna referierte bei dem Symposion zum Thema "The Evolution of Culture and Religion".
Quelle: kathpress