Papst in Skype-Interview: In Coronakrise das "Miteinander" retten
Die Menschheit sollte die Corona-Krise dazu nutzen, um "das Miteinander zu retten und den vergessenen Wert der menschlichen Gemeinschaft wiederzuerkennen": Diesen Wunsch hat Papst Franziskus in einem über Skype geführten Interview ausgedrückt, das vergangenen Sonntag im spanischen Fernsehen in Ausschnitten gezeigt und "Kathpress" nun in voller Länge vorliegt. Die Pandemie sei eine große Tragödie, aus der es jedoch Lehren zu ziehen gelte - im gesellschaftlichen wie auch zwischenmenschlichen Bereich. Die derzeitigen Ausgangsbeschränkungen führten vor Auge, wie groß das Problem der Einsamkeit sei, betonte das Kirchenoberhaupt.
Familienalltag stelle sich heute oft so dar, dass Eltern und Kinder auch in gemeinsamen Momenten wie etwa beim Essen auf Bildschirme schauten oder mit Abwesenden kommunizierten, nicht aber miteinander, sagte der Papst. Der kollektive Hausarrest könne dies überwinden und Szenen des gemeinsamen Spiels von Eltern und Kindern ermöglichen. "Weil sie ja nichts unternehmen können, finden sie wieder Zeit, einander zu begegnen." Selbiges treffe für den Umgang mit der älteren Generation zu, wenn auch unter anderen Umständen. "Jeder spürt heute den Drang, den Eltern oder Großeltern wieder zärtlich zu begegnen." Dies sei aber momentan nicht möglich.
Mehr Solidarität für "Ausgeblendete"
Die Corona-Krise solle auch zu mehr Solidarität und Nähe gegenüber bisher "ausgeblendeten" Personengruppen führen, hoffte der Papst in seinem Gespräch mit dem Journalisten Jordi Evole. Immer wieder komme es derzeit zu Szenen, bei denen Polizisten auf der Straße angetroffene Menschen nach Hause schicken, "die dann sagen: Ich habe kein Zuhause. Ich wohne auf der Straße". Die meisten Menschen dächten, Obdachlose oder etwa auch Opfer des Menschenhandels lebten in einer Parallelwelt, was heuchlerisch sei oder zumindest auf fehlendes Problembewusstsein deute. Ein erster Schritt sei, "dass wir erkennen, dass es diese Menschen gibt".
Auch die Insassen der Gefängnisse gehören für den Papst zu dieser Gruppe. Für ihn sei bezeichnend, dass er heuer - noch vor Ausbruch der Pandemie - ausgerechnet Häftlinge aus einer Strafanstalt in Padua gebeten habe, den diesjährigen Kreuzweg für die Stadt Rom zu verfassen, was diese auch "mit beeindruckender Kraft" getan hätten. "Und jetzt sind wir alle eingesperrt", so das Kirchenoberhaupt. Die Problematik der Menschen in Haft berühre ihn sehr, und es gelte auch in Nicht-Corona-Zeiten "für sie immer ein offenes Fenster zu haben", rief er zu mehr Achtung für die Probleme dieser Gruppe auf.
Bereits vergangenes Wochenende hatte der spanische Fernsehsender "lasexta" jenen Ausschnitt des Interviews gezeigt, in dem der Papst Solidarität an den Arbeitsplätzen eingefordert hatte. Firmen müssten eigene Lösungen finden, sollten dabei aber Kündigungen bestmöglich vermeiden, sagte er dabei. "Es ist keine Lösung, wenn wir nach dem Motto 'Rette sich, wer kann' vorgehen. Wir brauchen jetzt große Gesten", so der Papst bei seinem Aufruf, mit allen Kräften den Schutz der Angestellten statt deren Entlassung anzustreben. Wichtig sei der verantwortungsvolle Blick auch auf die Realität der Familien, die von dem aufrechten Arbeitsverhältnis abhingen.
Lob für schnelle Reaktion der Politik
Viel Lob fand der Papst für die Politiker, die laut seiner Ansicht in den meisten Fällen richtig reagiert und die Situation ernst genommen hätten, durch "schnelle und entschiedene Maßnahmen". Freilich seien vielerorts auch Fehler gemacht worden, doch sei das Ausmaß der Corona-Problematik auf allen Ebenen unterschätzt worden. "Jeder hat in den vergangenen Monaten zunächst wohl insgeheim gedacht, das Problem werde sich auf China oder dann auf Italien beschränken und nicht ins eigene Land, in die eigene Stadt kommen, mich selbst nicht treffen."
Er selbst lebe derzeit im Vatikan "nicht völlig isoliert", arbeite wie auch ein großer Teil der römischen Kurie weiter und empfange sogar Privataudienzen, wenngleich nicht mehr in Gruppen, erklärte der Papst in dem bereits vor einer Woche geführten Interview. Seither sind im Vatikan allerdings sechs Coronavirus-Infektionen bekannt geworden, darunter bei einem Priester aus dem Gästehaus Santa Marta, in dem auch der 83-jährige Papst wohnt. Wie Franziskus erklärte, sehe er das menschenleere Rom und auch den Petersplatz - von dem aus der Papst am Freitagabend bei strömendem Regen den Segen "urbi et orbi" spendete - als eine "Wüste".
"Heilige von nebenan"
Die Pandemie habe bei ihm nicht etwa zu Glaubenszweifeln geführt, auch wenn er solche in seinem Leben bereits gehabt habe, bekannte der Papst, "denn niemand ist von dieser Versuchung ausgenommen". Er setze auf Gott, hoffe jedoch auch, "dass die Völker ihre Lehre aus dieser Krise ziehen werden, um ihr Leben zu überprüfen und aus ihr als bessere Menschen hervorzugehen". Auch ein neuer Blick auf die Natur, "die derzeit um ihr Leben strampelt", gehöre dazu.
Hart sei freilich, dass durch das Coronavirus viele Menschen ihr Leben lassen müssten. Er wolle den Angehörigen der Verstorbenen jenseits aller Worte vermitteln, "dass ich ihnen nahe bin", sagte der Papst. Angebracht seien hier Gesten, die ob der verlorenen Nähe ganz neue Bedeutung bekommen hätten.
Anerkennung zollte Franziskus jenen Menschen, die derzeit durch ihre Arbeit das weitere Funktionieren und die Versorgung der Gesellschaft sicherstellten. Besonders bewundere er jedoch die Ärzte, Krankenschwestern, Pfleger und Freiwilligen. Manche müssten derzeit aufgrund des enormen Arbeitsaufwandes in den Spitälern übernachten und könnten nicht mehr nach Hause. "Sie sind die Heiligen von nebenan. Viele von ihnen sind nicht gläubig, sind Agnostiker oder leben den Glauben auf ihre Weise. Doch sie geben ein großes Zeugnis durch den Totaleinsatz für andere. Es gibt unter ihnen auch Tote", erinnerte der Papst.
Quelle: kathpress