Theologe Weiß: Faktor Religion im US-Wahlkampf nicht unterschätzen
Der Theologe und USA-Experte Andreas G. Weiß warnt davor, den Faktor Religion sowohl in der aktuellen Krisensituation als auch im Blick auf den US-Präsidentschaftswahlkampf zu unterschätzen. Der Einsatz religiöser Symbolik wie auch die zuletzt heftig umstrittene Inszenierung des US-Präsidenten mit der Bibel in der Hand vor einer Kirche folge keiner platten Instrumentalisierung von Religion, sondern stünde in einer langen Tradition der US-amerikanischen "civil religion" (Zivilreligion). Zugleich seien sie gewiss auch Kalkül, könne Trump doch gerade auf die christlichen Wählerschichten bei den kommenden Wahlen nicht verzichten, sage Weiß im Interview der Nachrichtenagentur Kathpress (Freitag).
Im Blick auf das jüngste "Bibelfoto" des Präsidenten analysiert der Theologe, der selbst immer wieder in den USA forscht und lehrt, dass auffällig sei, wie sich Trump auf dem Bild zeigte: Nicht in Siegerpose, sondern mit ernstem Blick. "Er wollte zeigen, dass die Bibel das Fundament ist, auf dem seine Macht aufbaut", so Weiß. Um diese Wirkung zu erzielen, brauchte Trump weder die Kirche zu betreten, noch Klerus an seiner Seite - im Gegenteil: "Der theologisch-religiöse Aufschrei zeigt, dass er sein Ziel erreicht hat: maximale Aufmerksamkeit. Das Betreten der Kirche hätte dieses Bild eher gestört - denn er hätte die Aufmerksamkeit teilen müssen mit anderen Personen oder es hätte der Eindruck entstehen können, dass er zu einer Stätte oder einem Ort als 'Empfangender' pilgert. Nein, er wollte zeigen: 'Darauf habe ich meinen Eid abgelegt und daraus habe ich alle meine Macht. Dazu brauche ich auch keine anderen mehr'."
Trotz anhaltender Säkularisierung und einem teils massiven Abbruch kirchlich verorteter Religiosität würden viele Menschen in den USA weiterhin die Prosperität des Landes und seine weltweite Vorrangstellung in wirtschaftlicher aber auch in politischer Hinsicht als "Gott gegeben" verstehen, so Weiß weiter. Dem Präsidenten komme in dieser Konstruktion einer Zivilreligion eine zentrale Position zu: "Der Präsident hat in den Augen vieler eine von Amts wegen 'übertragene Aura' - eine göttliche Aufgabe, ja, fast ein heiliges Amt übernommen." Diese Aura überstrahle letztlich den jeweils konkreten Präsidenten und selbst etwaige Verfehlungen des Amtsinhabers in seiner persönlichen Lebensführung.
In Trumps Verhalten komme also ein zivilreligiöses Moment zusammen mit der beinharten Kalkulation im Blick auf die religiösen Wählerschichten: Schließlich sei die christliche Wählerschaft eine der wichtigsten, die es für einen amtierenden Präsidenten mit der Absicht auf Wiederwahl zu halten gelte. "Man kann es sich als republikanische Partei nicht leisten, solche wichtigen Bündnisgruppen [gemeint sind gerade die evangelikalen und konservativen Wählerschichten, Anm.] auszublenden", so Weiß. Tatsächlich würden Umfragen von US-Instituten belegen, dass in dieser Gruppe der weißen, männlichen, evangelikalen 30- bis 50-Jährigen aus den südlichen Bundesstaaten die Kernwählerschaft Trumps zu suchen ist.
Eine Prognose im Blick auf die Wahlen im November traut sich Weiß nicht zu - nur so viel: "Ich glaube, dass Joe Biden keine schlechten Chancen hat, aber die Wahl wird aller Voraussicht nach von Trump gewonnen oder verloren und nicht von Biden."
Im vergangenen Jahr erschien das Buch "Trump - Du sollst keine anderen Götter neben mir haben: Was wir nie für möglich hielten, hat uns schon verändert" von Andreas G. Weiss.
Das vollständige Interview mit Andreas G. Weiß erscheint im Kathpress-"Info-Dienst" (5. Juni).
Quelle: kathpress