Bischöfe und Theologinnen sehen Weltfrieden gefährdet
Zahlreiche Bekenntnisse aus Kirche, Staat und Gesellschaft zu einer Welt ohne Atomwaffen hat es zum 75. Jahrestag der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki (6. bzw. 8. August 1945) gegeben. Der Weltfriede sei ein "extrem gefährdetes Gut" und werde aktuell "durch eine besorgniserregende, von nationalen Egoismen gesteuerte Politik in erschreckender Weise aufs Spiel gesetzt", warnte etwa Helmut Glettler, Referatsbischof für die katholische Friedensbewegung Pax Christi, in einer Stellungnahme. Nachhaltige Friedensarbeit benötige dieselbe Intelligenz, Energie und Investitionsbereitschaft wie die "Erfolgsbranche" der weltweiten Kriegsindustrie.
Glettlers Stellungnahme war eine von insgesamt 260 Grußbotschaften, welche an die Veranstalter der am Donnerstag am Wiener Stephansplatz begangenen Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima - dazu zählten u.a. die Wiener Friedensbewegung, Pax Christi Wien oder der Internationale Versöhnungsbund - eingegangen waren. Bischof Glettler wandte sich in seiner Botschaft scharf gegen die weltweite Waffenproduktion, welche der "erste und entscheidende Kriegstreiber" sei. Einsatz für eine nachhaltige Friedenssicherung und Friedenspolitik erfordere "Mut und Leidenschaft", stellte Glettler fest.
Der Linzer Bischof Manfred Scheuer zitierte in seiner Botschaft Papst Franziskus, der bei seinem Besuch in Hiroshima im November 2019 meinte, man müsse davon ablassen, ein Klima der Angst, des Misstrauens und der Feindseligkeit zu schüren, das von den Nukleardoktrinen befeuert werde. Der Papst habe damals die Politiker gebeten, nicht zu vergessen, "dass Nuklearwaffen uns nicht vor den Bedrohungen für die nationale und internationale Sicherheit in unserer Zeit schützen". Scheuer betonte, es sei für alle ChristInnen, aber auch für alle friedensbewegten Menschen ein Gebot der Stunde, eine klare Richtungsänderung einzufordern:
Die aktuellen globalen Herausforderungen mit der Covid19-Pandemie und der schweren ökologischen Krise unseres Planeten können nur in friedvollem, respektvollem und solidarischem Handeln bewältigt werden.
Dass jährlich Milliardensummen in die Entwicklung und den Bau von "Vernichtungstechnologie" fließe, kritisierte auch Bischof Krautwaschl." Als globale Familie sollten, ja müssen wir bedacht sein, gemeinsam in eine friedvolle Zukunft zu schreiten", nahm der Grazer Bischof Bezug auf Papst Franziskus. Es gebe nur eine Erde und nur unsere Schöpfung: "Beides ist viel zu kostbar, um es so widersinnig aufs Spiel zu setzen."
Der Linzer Altbischof Maximilian Aichern betonte in seiner Grußbotschaft, es gelte, immer wieder für eine Welt ohne Atomwaffen, ohne Atomkraftwerke und ohne Krieg einzutreten und gegen eine andere Bedrohung der Menschheit, die Klimakatastrophe, aufzutreten. Aichern wörtlich: "Seien wir alle guten Willens, national und international, für diese Arbeit für die Erhaltung und das Überleben unserer Menschheit."
Theologinnen fordern mehr Friedenseinsatz
Eine Mahnung, dass die Atombomben auf Japan - "eines der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte" - von christlich geprägten Nationen abgeworfen worden sei, noch dazu am Fest "Verklärung des Herrn", kam von der Wiener Sozialethikerin Ingeborg Gabriel. Die Kirchen seien vor diesem Hintergrund zu einer "wachen Analyse der gegenwärtigen Lage" und zu besonderem Engagement herausgefordert, betonte die Theologin. Auch heute gelte es, Friedensgefahren wahrzunehmen, wie etwa den Umstand, dass die Corona-Pandemie menschliche Kontakte auf diplomatischer Ebene erschwere.
Als eine für Österreich nachahmenswerte Idee der japanischen Regierung bezeichnete es Gabriel, dass dort immer mehr Jugendliche die Aufgabe übernehmen, anstelle von verstorbenen Zeitzeugen des Atombombenabwurfs deren Geschichte zu erzählen und persönliche Erinnerungen weiterzutragen. Zu sehr werde der Friede heute als Selbstverständlichkeit abgetan, was jedoch eine falsche Annahme sei, betonte die Expertin. Notwendig sei heute eine "neue starke Friedensbewegung", die sich für jene internationalen und regionalen Bewegungen einsetze, die sich um Frieden bemühen.
Mitgefühl und Positiv-Erzählungen
Die Pastoraltheologin Regina Polak rief dazu auf, "gute Geschichten für die Zukunft" der ständigen Ankündigung von Drohszenarien entgegenzuhalten. Europa habe durch den Kalten Krieg gelernt, "im Schatten der Bombe zu leben" - und sich dabei jenes rasche und entschlossene Handeln abgewöhnt, das bei weltweiten Gefahren wie etwa die Klimakatastrophe oder auch dem globalen Atomwaffenarsenal angezeigt wäre. Damit gehe auch die Gefahr einer "moralischen Erosion" einher, warnt die Theologin, "denn ethisches Handeln setzt neben einem reflektierten Verstand immer auch emotionale Berührtheit und die Fähigkeit zum Mitgefühl voraus".
Für die vor diesem Hintergrund geforderten Positiv-Geschichten könne die aktuelle Covid19-Pandemie Beispiele liefern. So hätten die Menschen inmitten des Social Distancing in den Wohnzimmern gelernt, "dass wir eine Menschheit sind und diese Krise nur gemeinsam und solidarisch meistern werden können", schrieb Polak, und stellte die Frage in den Raum:
Wie also sieht sie aus: die eine Welt ohne Waffen und mit einem Leben, das nicht auf Kosten anderer und der Zukunft lebt?
Evangelische Proteststimmen
"Verbannt endlich Atomwaffen!" forderte auch seitens der Evangelischen Kirche A.B. der Salzburger und Tiroler Superintendent Oliver Dantine, während sein Wiener Amtskollege Matthias Geist zu einem "radikalen Umdenken" aufrief. Ein Stopp der Erzeugung von Atomwaffen, ihrem Handel und ihrer Lieferungen sei ebenso nötig wie ein Ende der Ausbeutung in Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion sowie auch des "Wachstumsdenkens in Wirtschaft, Industrie und Verkehr". "Friede und Klimaschutz" sei das, worauf die Weltgemeinschaft besonders achten müsse, um das Ziel einer "lebenswerten Schöpfung" zu erreichen, so Geist.
Schon der Besitz von Atomwaffen sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gegen die Menschheit, stellte Landessuperintendent Thomas Hennefeld von der Evangelischen Kirche H.B. fest. "Ich glaube daran, dass Gott die Welt gut geschaffen hat, und sie nicht dazu in Millionen von Jahren entwickelte, damit sie der Mensch in wenigen Sekunden vernichtet." Nicht nur Atomwaffen, sondern auch Atomkraft sei höchst gefährlich und sollte gebannt werden. Alle Regierungen sollten "Visionen entwickeln, wie ein gedeihliches und friedliches Leben auf diesem Planeten möglich ist, bevor es zu spät ist" - wobei die Religionen ihren Beitrag dazu leisten könnten.
Der Kärntner Superintendent Manfred Sauer rief dazu auf, als "Friedensstifter" tätig zu sein und "aktive Friedenserziehung" von Kindern bereits ab dem Kindergartenalter zu fördern. Zentral sei dabei die Befähigung, "Konflikte nicht mit Gewalt, sondern im Austausch, gegenseitigem Respekt und friedlich zu lösen".
Quelle: kathpress