Buttiglione: Johannes Paul II. sorgte für "Auferweckung" Polens
Der Philosoph und frühere italienische Europa- und Kulturminister Rocco Buttiglione (72) hat den Beitrag von Johannes Paul II. (1978-2005) zur Wende in Polen und zum Ende der Diktaturen in Osteuropa sowie Lateinamerika gewürdigt. Karol Wojtyla habe mit seiner Lehre und Philosophie die christliche Soziallehre wieder zu einer prägenden Kraft gemacht, sagte Buttiglione am Dienstagabend bei einer Fachtagung zum 100. Geburtstag des Papstes an der Hochschule Heiligenkreuz. Vor diesem Hintergrund gelte es heute, "die Geschichte Europas wieder neu zu denken" und die Soziallehre "nicht nur zu predigen, sondern Menschen in ihren konkreten Situationen mit dieser anzurühren", forderte der frühere Politiker bei seinem Vortrag über den "Philosoph, der Papst wurde und als Politiker die Welt veränderte".
Dieses Anrühren einer "Seele der Nation" - konkret der polnischen - habe Johannes Paul II. gleich bei seiner Polenreise im Juni 1979 geschafft, erklärte Buttiglione. Der Begriff "Nation" sei damals in Europa ein verstaubter Begriff gewesen, vergleichbar jenem der "Familie" in diesen Tagen, so der frühere Politiker. Der Papst habe ihn gleichsam entstaubt und mit seinen Reden und Predigten schließlich den Grundstein dafür gelegt, dass mit der Gründung der Solidarnosc das Wort "Nation" wieder einen positiven Klang bekam und es zu einem Erwachen und Aufstehen des polnischen Volkes kam.
"Die Nation war nicht gestorben, sondern nur entschlafen. Jetzt hat sie wieder den Aufbruch gewagt, das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen", so der italienische Philosoph. Gezeigt habe sich dabei, dass eine Philosophie eine praktische Kraft in der Geschichte werden könne, wenn sie in der "Kultur des Volkes" vorgetragen werde, was dem polnischen Papst zweifelsohne gelungen sei; das polnische Volk habe sich damals "konstituiert" und den Kampf um Anerkennung als Nation aufgenommen.
Ruf zu "Waffen des Dialogs"
Wesentlich habe Johannes Paul II. jedoch auch dazu beigetragen, dass der ab Ende 1981 drohende Kriegszustand in Polen abgewendet wurde, erinnerte Buttiglione. Als Wojciech Jaruzelski Tausende Personen im Umkreis der Solidarnosc in einer Nacht verhaften und das Kriegsrecht ausrufen ließ - es dauerte bis Juli 1983 an -, habe ein "Massaker, vielleicht sogar der dritte Weltkrieg" unmittelbar bevorgestanden. Der Wojtyla-Papst habe daraufhin aufgerufen, ausschließlich die "Waffen des Dialogs" anzuwenden, sei doch im 20. Jahrhundert bereits "zu viel polnisches Blut durch polnische Hände vergossen worden".
Auch durch seine anderen Botschaften wie etwa jene zum Weltfriedenstag habe Johannes Paul II. die kommunistischen Machthaber herausgefordert, führte Buttiglione weiter aus. "Wojtyla zeigte den Menschen, dass sich eine Macht verantworten muss." Durch solche gezielte Nadelstiche habe es Johannes Paul II. schließlich geschafft, "dass eine totalitäre Gesellschaft, die immer auf Lüge basiert, in sich zusammenbricht". Die Erschütterungen, die damals von Polen ausgingen, hätten schließlich auch andere Länder des Ostblocks, die DDR und sogar Länder in Lateinamerika erfasst, wo sich Menschen ebenfalls gegen Diktaturen und Machthaber erhoben.
Insgesamt habe die Kirche durch ihre gemeinschaftsstiftende Botschaft mitgeholfen, "Nationen die Möglichkeit zu geben, sich im Selbstbewusstsein der Menschen zu konstituieren", so die Einschätzung des Philosophen. Die christliche Soziallehre sei unter Johannes Paul II. wieder erstarkt und zu einer treibenden Kraft der Geschichte - im speziellen Beispiel der polnischen - geworden. Wo diese Lehre nicht auf die jeweilige Situation der Menschen oder eines Volkes eingehe, entfalte sie hingegen kaum Wirkkraft, befand Buttiglione.
Quelle: kathpress