Sterbehilfe: Arzt warnt vor dramatischer Werteverschiebung
"Die humanitäre und soziale Qualität einer Gesellschaft ist daran zu messen, wie sie mit den Schwächsten, die vom Leben schwer getroffen sind, umgeht." Das betont der Salzburger Arzt Florian Baumgartner in einem Interview mit dem Salzburger "Rupertusblatt", in dem er zur aktuellen Sterbehilfediskussion Stellung nimmt. Wenn das Urteil des Verfassungsgerichtshofs zugunsten des assistierten Suizids ausgeht, wäre das ein Dammbruch, warnt Baumgartner. Es käme zu einer Verschiebung der Grenze, was normal und Konsens ist. Denn: "Nach einigen Jahren wird die Ausnahme zur Regel."
Das Beispiel Belgien zeige das deutlich. Hatten vorerst nur organisch schwer kranke ältere Menschen das Recht auf begleiteten Selbstmord, so seien es jetzt auch Kinder und psychisch kranke Menschen. "Solche Entwicklungen lassen dann auch das Empfinden für Recht und Unrecht verschwimmen", so Baumgartner: "Der Weg vom Präzedenzfall zum Gewohnheitsrecht ist ein kurzer." Es besteht die Gefahr, "dass ein scheinbares Recht auf Tötung etabliert wird und dass die Ärzte sich rechtfertigen müssen, wenn sie dem nicht nachkommen".
Die Gesellschaft werde noch mehr Druck aufbauen, "dass der Einzelne sich rechtfertigen muss, warum er ist und wie er ist", so die Prognose des Arztes:
Bei schlechten Argumenten, die dieses Leben aus Sicht der Mehrheitsmeinung nicht lebenswert machen, wird der Druck größer. Wer hat dabei schlechte Karten? Diejenigen, die den Ansprüchen und Werten einer auf Leistung und Schönheit basierten Gesellschaft vordergründig nicht gerecht werden können.
Es brauche dann für jeden einzelnen nicht viel, um zu den vermeintlich Schwachen zu gehören, so Baumgartner: "Das ist für den einen die Firmenpleite, die ihn in eine psychisch schwierige Situation bringt. Das kann für den anderen ein Unfall sein, der ihn partiell oder ganz arbeitsunfähig macht. Das kann die Geburt eines behinderten Kindes bedeuten - plötzlich ist man in einer Rechtfertigungssituation." Immer wieder müssten sich auch jetzt schon Eltern eines behinderten Kindes anhören: "So etwas ist doch heute nicht mehr nötig." Er wünsche sich deshalb für Ärzte wie vor allem auch Patienten, "dass die Tötung eines Menschen durch die Medizin auch weiterhin strafrechtlich verfolgbar bleibt".
Fragwürdige Leistungsethik
Der Arzt stellte im Interview die gängige Leistungsethik stark in Frage: "Es gibt den Konsens: Leistung ist unantastbar. Keiner würde auf die Idee kommen die Lebensberechtigung eines 30-jährigen leistungsbereiten, aktiven und gesunden Menschen in Frage zu stellen. Noch dazu, wenn er brav seine Sozialversicherungsbeiträge zahlt und Sport betreibt." Am Anfang und Ende des Lebens treffe dieses Leistungsprinzip aber nicht mehr zu. Ein Embryo, ein behindertes Kind oder ein alter Mensch könnten dieses Prinzip in keinster Weise erfüllen. Im Gegenteil:
Medien und Gesellschaft vermitteln subtil, dass diese Menschen scheinbar eine permanente Belastung für die ganze Gesellschaft darstellen: finanziell, personell und für ihre Mitmenschen.
Baumgartner ist Oberarzt für Kindermedizin am Kardinal-Schwarzenberg-Klinikum in Schwarzach im Pongau. Er äußerte sich im Vorfeld des ersten Salzburger Bioethik-Dialogs am 9./10. Oktober im Salzburger Kongresszentrum. Das Generalthema der Veranstaltung lautet "Modernes Sterben - Aufgaben und Grenzen der Medizin am Lebensende". Veranstalter ist das Salzburger Ärzteforum, eine Vereinigung von mittlerweile 357 deutschsprachigen Ärzten, die sich über Religions- und Konfessionsgrenzen hinweg für den Schutz des Lebens engagieren.
Quelle: kathpress