
Marketz: Kirche erkannte als Erste die Zerrissenheit Kärntens
In einer Zeit, als der Begriff der "Kärntner Einheit" noch ausgrenzend verwendet wurde, hat die Kirche "als Erste in diesem Land die Zerrissenheit erkannt". Daran hat der zur slowenischen Volksgruppe gehörende Gurker Bischof Josef Marketz, der sich selbst "nie als etwas anderes denn als Kärntner gefühlt" habe, anlässlich 100 Jahre Volksabstimmung im südlichsten Bundesland Österreichs erinnert. Die Kirche habe versucht, diese beschworene und zugleich missbrauchte "Einheit" zu leben, "indem man dem jeweils anderen wertschätzend begegnet". Diese dem Evangelium gemäße Linie verfolge sie bis heute konsequent, sagte Marketz in einem Interview der Kärntner Kirchenzeitung "Sonntag".
Im Blick auf die im Vergleich zu früher viel weniger polarisierenden Gedenk-Feierlichkeiten am 10. Oktober antwortete der Bischof auf die Frage, ob Kärnten am Ziel einer Versöhnung der Volksgruppen angekommen sei: "Es gibt für das Miteinander keinen Ziel- oder Endpunkt. Wir sind auf einem guten Weg." Er selbst habe noch "Zeiten massiver Spannungen erlebt, als man sich nicht traute, in der Öffentlichkeit slowenisch zu sprechen", erzählte Marketz. Es gebe sicher noch viele offene Themen, aber es seien Fortschritte bei der Verständigung unter den Volksgruppen erzielt worden seien, über die er "glücklich" sei.
Zwei Männer mit "Mut zur Versöhnung"
Ein Markstein sei in dieser Hinsicht die Kärntner Diözesansynode 1970/72 gewesen. Dort wurden laut Bischof Marketz "nicht nur schöne Synodenpapiere verfasst", sondern die beiden Hauptprotagonisten Valentin Inzko, späterer Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina, und Ernst Waldstein, im Vorjahr verstorbener Ehrenpräsident des Katholischen Laienrates, hätten mit hohem persönlichen Einsatz etwa bei Besuchen in vielen Pfarren den Boden für einen Dialog aufbereitet. "Aus ihrem Glauben heraus waren sie überzeugt, dass es den Mut zur Versöhnung braucht. Heute sehen wir, dass es nur diesen Weg gibt", würdigte Marketz die beiden Pioniere. "Den beiden, die sich so für das Miteinander der Volksgruppen eingesetzt und dieses auch gelebt haben, sollte man ein Denkmal errichten." Heute sei Kärnten auf der Suche nach einem wertschätzenden Miteinander "schon sehr weit gekommen", befand der Bischof.
Vor 100 Jahren sei "an allen Ecken und Enden in Europa und auch in Österreich gezogen und gezerrt worden", um nach dem verheerenden Ersten Weltkrieg die Staatsgrenzen neu festzulegen. "Gott sei Dank ist vor 100 Jahren die Grenzziehung nach dem Zerfall der Monarchie so ausgegangen", sagte Marketz. Dass die Kärntner Slowenen nach viel Propaganda und vielen Versprechungen "über den Tisch gezogen" wurden, "glaube ich nicht", so der 65-jährige, im zweisprachigen St. Philippen ob Sonnegg/St.Lips aufgewachsene Bischof. Es sei von beiden Seiten viel versprochen worden. "Ob der SHS-Staat (das von Serben, Kroaten und Slowenen der ehemaligen Donaumonarchie gebildete "erste Jugoslawien", Anm.) seine Versprechen eingehalten hätte, bezweifle ich."
"Mythos" der "deutschen" Kärntner Einheit
Nach der Volksabstimmung habe der Landesverweser und spätere Landeshauptmann Kärntens Arthur Lemisch die slowenischsprachige Minderheit "zum Kärntnertum zurückführen" wollen, damit den Mythos von der "deutschen" Kärntner Einheit geschaffen und gleichzeitig viel Gemeinsames zerbrochen, erinnerte Marketz. Besser wäre es gewesen zu sagen: "In Kärnten leben zwei Volksgruppen, wir haben zwei Landessprachen und sie sind gleichwertig. Leider ist das nicht passiert." Im Zweiten Weltkrieg habe sich die Zerrissenheit weiter verschärft.
Auch als sich Inzko und Waldstein ein halbes Jahrhundert später um Brückenschläge bemühten, habe es dafür Anfeindungen und Konflikte gegeben, so Marketz. Sie hätten angeregt, offen über Verletzungen zu sprechen, um sie dann heilen zu können - und das in einer Zeit, "in der manche Beobachter einen Bürgerkrieg in Kärnten befürchtet haben". Heute sollten diese geschichtlichen Entwicklungen mit "schmerzhaften Ausgrenzungen" als Folgen einbekannt und daraus gelernt werden, so die Überzeugung des Bischofs.
Er gab auch zu bedenken, "dass wir in einer globalen Welt vor ganz anderen Herausforderungen stehen". Da sei die Verbindung der beiden Kulturen eindeutig eine Chance. Er selbst verstehe sich "einfach als Kärntner Bischof, der beide Sprachen spricht". Die wirklichen Herausforderungen der Kirche - wie Priestermangel oder die Suche nach spirituellen Zugängen und nach einem guten Leben - stellten sich für beide Volksgruppen gleich. Letztlich gelte es für die Kirche auf Gott aufmerksam zu machen. "Ich mache das in beiden Sprachen - das ist nichts Besonderes, sondern sollte normal sein."
Am 10. Oktober 1920 fand in Folge des Ersten Weltkriegs und des Vertrags von Saint-Germain eine Volksabstimmung im Grenzgebiet Südkärntens statt, wo die slowenischsprachige Volksgruppe ca. 70 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte: 59,04 Prozent aller Stimmen gingen dabei an Österreich. Aus dem Ergebnis ging hervor, dass auch ein erheblicher Teil (etwa 40 Prozent) der Kärntner Slowenen für den Verbleib bei Österreich und somit gegen eine Eingliederung in den SHS-Staat, dem späteren Jugoslawien, gestimmt hatte.
Quelle: kathpress