Religionssoziologin: "Verlangen als solches ist nichts Schlechtes"
Die Rolle einer modernen Askese und Keuschheit ist es nicht mehr, Sexualität zu unterdrücken oder zu verneinen, sondern sie auf gute Bahnen zu lenken: "Verlangen als solches ist nichts Schlechtes, entscheidend ist, was der Mönch oder die Nonne daraus mach", das hat die an der Universität Graz lehrende Soziologin Isabelle Jonveaux klargestellt. Eros und Askese würden sich also nicht abschließen, meinte die französische Soziologin in einem Interview mit der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag" (aktuelle Ausgabe). Zu beobachten sei aber eine Verschiebung weg von einer geißelnden strengen Askese der Wüstenmönche, hin zu Formen des Fastens und der freiwilligen Beschränkungen, wie der Keuschheit oder Disziplin im Umgang mit Handy und Internet.
"Viele Mönche und Nonnen haben mir gesagt, dass der Zölibat oder die Keuschheit überhaupt nicht das Schwierigste sind im Klosterleben. Aber das ist oft die Dimension, die von der Gesellschaft am wenigstens verstanden ist", so die Autorin des 2018 erscheinen Buchs "Mönch sein heute. Eine Soziologie des Mönchtums in Österreich". Als Grund nannte die Soziologin u.a. eine aktuell hypersexualisierte Gesellschaft.
Die sexuelle Dimension der Askese sei bei den Wüstenvätern und -müttern mehr ein "Zeichen des Protests gegen eine dekadente Gesellschaft und sogar gegen die Kirche gewesen", erläuterte Jonveaux. Die Sühne und Buße der Mönche und Nonnen habe somit eine stellvertretende Funktion für die Sünde der Gesellschaft erlangt. Damit habe auch die "fleischliche Versuchung" keine rein sexuelle Komponente, sondern betreffe alle "Bewegungen von Körper und Geist, die sich von dem endgültigen Ziel der Beziehung zu Gott". Die Verurteilung des Körpers sei erst im Mittelalter erfolgt, so die Soziologin im Interview.
Neue Formen der Askese
In der heutigen Zeit bedeute allein die Tatsache, "sein ganzes Leben Gott zu übergeben und für immer in eine Gemeinschaft einzutreten, in der man ein Gehorsamsgelübde ablegt und damit auf eine bestimmte Form der Freiheit verzichtet, eine Askese für die heutige Gesellschaft", meinte Jonveaux. Seit 2011 forscht die Soziologin am Institut für Religionswissenschaft der Universität Graz über Klosterleben in Europa und Afrika und über Religion und Internet. Zudem gebe es selbst in der modernen Gesellschaft neue Formen säkularer Askese, die teils strenger seien als die alte klösterliche Askese. Als Beispiel nannte die Wissenschaftlerin etwa neue Arten des Fastens.
Aber auch wenn das heutige Klosterleben weniger asketisch aussehe als früher - "besonders in Österreich und besonders in den Männerklöstern" - seien die Grundpfeiler der Askese in den Orden nach wie vor präsent. Sie würden sich jedoch teils eher auf eine Disziplin bezüglich Internet und Handy beziehen als das Fasten. Dazu Jonveaux: "Die Askese behält ihren Sinn nur, wenn sie sich zu jeder Epoche und jeden Ort anpasst."
In ihrem 2018 veröffentlichen Buch "Mönch sein heute" untersuchte Jonveaux in einer empirischen Studie die sozialen Dimensionen des Klosterlebens. Dabei wurden neben der demografischen Situation der Ordensgemeinschaften auch die Arbeitsfelder der Mönche und Nonnen in den Blick genommen, insofern diese für die Identität und den gesellschaftlichen Platz eines Klosters eine entscheidende Rolle spielen.
Quelle: kathpress