Scharl: Guadalupe vermittelt Gottes Anwesenheit in der Krise
Als Zeichen für Gottes Gegenwart in menschlicher Not hat der Wiener Weihbischof Franz Scharl die Jungfrau von Guadalupe bezeichnet. "Im Jahr 2020 fragen sich viele: Ist Gott mit uns - in der Pandemie, nach dem Wiener Anschlag oder nach dem 'schwarzen Freitag', an dem Suizidbehilfe eine offene Tür bekam?", so der Bischof am Samstag bei der traditionellen Guadalupe-Messe in der Wiener Votivkirche. Die Marienerscheinung von 1531 sei eine Antwort darauf: "Gott ist mit uns. Die Frage lautet, ob wir mit ihm sind." Scharl feierte den Gottesdienst mit dem mexikanischen Priester Jorge Curiel Rojas und den Priestern der spanischsprachigen Gemeinden Wiens, zudem nahm mit Jose Manuel Castañeda Resendiz auch ein hochrangiger Vertreter der Botschaft Mexikos teil und las die Fürbitten.
Ausführlich ging Scharl in seiner Predigt auf die Ereignisse von Guadalupe ein. Angesichts der grausamen Conquista Mexikos um 1500 sei für die dort lebenden Völkern der von spanischen Missionaren verkündete christliche Glaube mit vielen Zweifeln und Fragezeichen verbunden gewesen. Alles verändert hätten die Tage vom 9. bis 12. Dezember 1531 mit einem "Geschehen, das bis heute fortdauert" und aus vielen Gründen so besonders sei: Die Jungfrau Maria habe sich auf dem Berg Tepeyac in Gestalt einer Mestizin offenbart - "und zwar nicht einem berühmten Spanier, sondern dem einfachen Indio Juan Diego Cuauhtlatoatzin", betonte der Weihbischof. Auf perfekte, weil auf vollem Verständnis für die Kultur der Menschen gründenden Weise sei dabei die Botschaft von Jesus neu übersetzt worden - "etwas, das die Evangelisation auch heute braucht", so Scharl.
Wunder in der "Wüste"
Der Bischof zitierte auch aus dem 1556 in Nahuatl-Sprache verfassten Urtext "Nican mopohua", der in poetischer Form von den Marienerscheinungen berichtet und u.a. Dialoge zwischen Maria und dem Seher enthält. Die Jungfrau sagt darin: "Wisse und verstehe genau, mein kleinster Sohn, dass ich die vollkommene heilige Maria, die Mutter des einzig wahren Gottes bin, (...) des Herrn, der nah und unmittelbar ist, des Herrn des Himmels und der Erde. Ich wünsche sehr, dass man mir hier mein Heiligtum errichtet, wo ich meine ganze Liebe, mein Mitleid und Erbarmen, meine Hilfe und meinen Schutz (...) erweisen werde: Denn ich bin in Wahrheit eure mitleidsvolle Mutter, die deine und die aller Menschen, die in diesem Land vereint sind, und die der anderen Stämme der Menschen, die mich lieben, jener, die zu mir rufen, die mich suchen, die ihr Vertrauen in mich setzen. Hier will ich ihr Weinen, ihre Sorgen anhören, um ihre Leiden, ihre Nöte, ihre Schmerzen zu heilen."
Nachdruck und enorme Popularität habe die Begebenheit durch äußere Zeichen erhalten, erinnerte Bischof Scharl. So habe Juan Diego am Erscheinungsort in einer kargen Region, "in der es sonst nur Kakteen gibt", mitten im Winter Rosen aus Kastilien gefunden, die ihm vor dem Bischof als Beweis der Echtheit seiner Berichte dienen sollten. Erst recht erfüllte diese Funktion das auf nicht erklärbare Weise entstandene Abbild der Jungfrau, das der Indio bei der Übergabe der Rosen auf seinem Umhang ("Tilma") trug und das bis heute als Gnadenbild in der Wallfahrtsbasilika von Guadalupe verehrt wird. Doch auch die Detailschilderungen der singenden Vögel, der Schönheit Mariens oder der Heilung des sterbenskranken Onkels von Juan Diego sprächen für sich, unterstrich Scharl. "Inmitten von Dornen, Frost und Wüste, die ein Bild auch für unser heutiges Befinden sind, kommt durch Maria die Wirklichkeit Gottes - und die ist wunderbar anders. Gott ermöglicht mit seiner Gnade mitten in der Wüste Wunder."
Verbindung Österreich und Mexiko
Scharl sprach von einer "geheimnisvollen Verbindung" zwischen Mexiko und Österreich, die seit dem frühen 16. Jahrhundert - über die spanische Linie der Habsburger - bestehe und in der Wiener Votivkirche besonders zum Ausdruck komme. Der Bau der ursprünglich als "Dom der Völker" konzipierten Kirche ab 1856 war von Erzherzog Ferdinand Maximilian initiiert worden. Der spätere Kaiser von Mexiko wollte in dem neugotischem Sakralbau ein Bildnis der Jungfrau von Guadalupe aufstellen lassen, was erst nach dem Zweiten Weltkrieg mit Unterstützung der Frau eines mexikanischen Botschafters umgesetzt wurde. Wenige Jahre zuvor war Mexiko das weltweit einzige Land gewesen, das gegen den "Anschluss" Österreichs an Hitler-Deutschland 1938 protestierte, woran bis heute der Wiener Mexikoplatz erinnert.
"Vor allem haben Mexiko und Österreich aber auch eine gemeinsame Mutter, die nicht nur in der Zeit, sondern auch in der Ewigkeit verbindet", betonte Scharl, der in der Bischofskonferenz Referatsbischof für die fremdsprachige Seelsorge ist. Daran erinnere auch der jährlich veranstaltete Gottesdienst am Guadalupe-Tag. Die 1995 gestartete Tradition ist unter den in Österreich lebenden Mexikanern und Lateinamerikanern weiter lebendig: Auch im Corona-Jahr kamen an die 120 Menschen zu der mit mexikanischer Dekoration und Musik gestalteten spanischsprachigen Messe. Gefeiert wurde sie aus Präventionsgründen nicht an dem 2019 generalrestaurierten Guadalupe-Altar im rechten Kirchenschiff, sondern am Hauptaltar, wodurch sich die Teilnehmer, die alle Mund-Nasen-Schutz trugen, auf den ganzen Raum der zweitgrößten Wiener Kirche verteilen konnten. Der Tradition entsprechend, wurde die "Guadalupana" nach der Messe im Park vor der Votivkirche weitergefeiert - mit mexikanischen Liedern, Abstand und Maske. Dank der erstmals ermöglichten Gottesdienst-Streamings verfolgten über 1.400 Menschen die Messe über den YouTube-Kanal der Erzdiözese Wien mit.
Um die Jungfrau von Guadalupe und die Verbindungen zwischen Mexiko und Österreich einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen, ist laut Angaben der Veranstalter ein Event für kommenden Sommer geplant. Es soll im Umfeld der Votivkirche - der hier liegende 9. Wiener Gemeindebezirk ist durch die hier beheimatete österreichisch-mexikanische Gesellschaft und das mexikanische Kulturinstitut ein "mexikanischer Bezirk" Wiens - stattfinden, sofern es die Entwicklung der Corona-Pandemie erlaubt.
Quelle: kathpress