Fischer: Grundideen der Sozialdemokratie befinden sich in keiner Krise
In welchem Zustand befindet sich die Sozialdemokratie in Österreich bzw. international - und worin besteht ihre bleibende gesellschaftliche Notwendigkeit? Über diese Frage diskutierten am Mittwochabend Altbundespräsident Heinz Fischer (SP) und der Theologe Paul M. Zulehner bei einem Online-Podiumsgespräch der Wiener "Akademie am Dom". Die Grundidee der Sozialdemokratie sei "keineswegs in einer Krise", unterstrich Fischer dabei - sie sei "genau so relevant wie früher", nur seien viele Ziele der Sozialdemokratie inzwischen erstritten und umgesetzt worden bzw. ins politische Allgemeingut übergegangen. Die Orientierung an den sozialdemokratischen Grundwerten gelte nach wie vor, die politische Realität verlange aber nach einer Neujustierung der sozialen Frage.
Zu den Grundideen der Sozialdemokratie als "Utopie" und zugleich als politisches Ziel, an denen er festhalten wolle, zählte Fischer den Einsatz für Leidende, das Nicht-Einverstandensein mit Ungerechtigkeiten, das Bekenntnis zur Freiheit als Grundrecht, Toleranz als Grundprinzip gelingenden Zusammenlebens in Verschiedenheit, sowie den Willen, gesellschaftliche Verhältnisse im Interesse dieser Ideen zu verändern.
Unterstrichen wurde dies auch von Prof. Zulehner: "Wir brauchen angesichts der Krise mehr Sozialdemokratie" in dem Sinne, dass es eine "neue soziale Frage" gebe, auf die die Sozialdemokratie nicht oder nur unzureichend mit ihrem alten Vokabular zu antworten vermag. "Diese neue soziale Frage hat nicht nur mit der Arbeitswelt zu tun, sondern auch mit der Digitalisierung, der Migration und der Ökologie. Jede Partei, die zukunftsfähig sein will, muss etwas für diese drei Herausforderungen im Gepäck haben", so Zulehner. Antworten böte dabei nicht der realpolitische Pragmatismus, sondern die "großen Ideen", die die Basis u.a. der Sozialdemokratie aber auch des Christlich-Sozialen bereit hielten. Er hoffe daher auch auf eine "ideologische Renaissance gesellschaftlicher Utopien", die sich im Dreieck aus Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit bewegen müssten.
Kritik übten beide Diskutanten in dem Zusammenhang an der Flüchtlingspolitik der Regierung und ihrem kategorischen "Nein" zur Aufnahme von Flüchtlingen bzw. Kindern und Familien aus den griechischen Lagern. Es werde hier in fahrlässiger, weil verkürzender Form mit Verantwortungsethik argumentiert, ohne zu sehen, dass die Verantwortung längst nicht mehr an den Grenzen Österreichs Halt mache, sondern eine universale Dimension habe, so Zulehner. Ähnlich auch Altbundespräsident Fischer: "Wenn ich sehe, dass es 100 kranke Kinder oder Familien gibt, denen man leicht helfen kann; und wenn man diese Hilfe mit Verweis auf die Verantwortungsethik ablehnt, dann macht mich das wirklich wütend!" Dies sei "unredlich" und schade zudem letztlich dem Bild Österreichs in der Welt.
Die "Akademie am Dom" ist eine Erwachsenenbildungseinrichtung der Erzdiözese Wien und den "Theologischen Kursen" zugeordnet. Ihr Ziel ist es, Lebens- und Glaubensfragen im Kontext von Theologie, Kirche, Religion, Wissenschaft, Politik und Kultur zu diskutieren und dabei "aktuell, wissenschaftlich und verständlich" ein breites Publikum anzusprechen. (Infos: www.akademie-am-dom.at)
Quelle: kathpress