Kölner Missbrauchsgutachten verändert deutsche Kirchenlandschaft
Nach der Vorstellung eines belastenden Missbrauchsgutachtens in der Erzdiözese Köln haben der Hamburger Erzbischof Stefan Heße und der Kölner Weihbischof Ansgar Puff Rücktrittsgesuche eingereicht und lassen ihre Ämter ruhen. Auch der frühere Kölner Generalvikar Dominikus Schwaderlapp (53) hat am Donnerstag seinen Rücktritt angeboten. Hintergrund ist das Missbrauchsgutachten, in dem Juristen um den Strafrechtler Björn Gercke den Umgang mit Fällen sexualisierter Gewalt in der Kölner Erzdiözese seit Mitte der 1970er-Jahre dokumentiert haben. Die Untersuchung sollte auch aufzeigen, ob Diözesanverantwortliche Täter geschützt und Verbrechen vertuscht haben. Insgesamt hat das Gutachten 75 Pflichtverletzungen von acht lebenden und verstorbenen Verantwortlichen von 1975 bis 2018 ausgemacht.
In einem am Freitag veröffentlichten Brief an die Kirchengemeinden erläutert der Hamburger Erzbischof Heße seine Gründe für sein Rücktrittsgesuch. "Wesentlich ist für mich, dass ich mich der Verantwortung für mein damaliges Handeln stelle", so der 54-Jährige. Er übernehme "Verantwortung für damalige Fehler und das Versagen des Systems." Seine Entscheidung halte er sie für die einzig angemessene und sinnvolle, so der zurückgetretene Bischof.
Die Erzdiözese Hamburg wird nun kommissarisch von Generalvikar Ansgar Thim geleitet, die wie die Pressestelle der Diözese Hamburg am Freitag mitteilte. Thim wird durch den Verwaltungsleiter der Erzdiözese, Alexander Becker, und Weihbischof Horst Eberlein unterstützt, hieß es. Puff ist laut Erzdiözese Köln vorläufig bis zur Klärung der Umstände beurlaubt. Erzbischof Rainer Maria Woelki wolle so eine sachgerechte Bewertung der benannten Pflichtverletzung ermöglichen.
Heße hatte am Donnerstag Papst Franziskus in einer persönlichen Erklärung seinen Amtsverzicht angeboten und um die sofortige Entbindung von seinen Aufgaben gebeten. Das Missbrauchsgutachten wirft Heße elf Pflichtverletzungen bei der Aufklärung neun verschiedener Missbrauchsfälle vor.
Heße ist seit 2015 Erzbischof von Hamburg und war zuvor ab 2006 Personalchef und von 2012 bis 2015 Generalvikar in der Erzdiözese Köln. Der 54-Jährige ist der erste deutsche Diözesanbischof, der im Zuge des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche sein Amt verlieren könnte. Über das Rücktrittsgesuch und die Bitte um Entpflichtung muss der Papst entscheiden.
Anschuldigungen an Puff
Laut Missbrauchsgutachten soll Puff in seiner Zeit als Personalchef in der Erzdiözese Köln zwischen 2012 und 2013 in einem Fall gegen die Aufklärungspflicht verstoßen haben. In dem Fall geht es laut Gutachten um einen Betroffenen, der etwa im Zeitraum zwischen 1963 und 1966 von einem Priester missbraucht wurde. Da die Mutter als Haushaltshilfe für den Geistlichen arbeitete, schwieg sie über die Taten. 2013 wurde der Erzdiözese der Verdacht über den Bruder des Betroffenen bekannt. Personalchef Puff bot dem Mann ein Gespräch an - wiederum über seinen Bruder, da ein direkter Kontakt nicht bestand, wie Puff zu Protokoll gab. Der Betroffene lehnte dieses Angebot ab.
Puff habe den damaligen Generalvikar und heutigen Hamburger Erzbischof Stefan Heße (54) mündlich über den Fall informiert, wie er sagte. Weil es sich um Behauptungen Dritter handelte - nämlich des Bruders - und weil ein direktes Gespräch mit dem Betroffenen nicht möglich gewesen sei, verzichtete Puff darauf, den beschuldigten Geistlichen zu befragen. Ein Fehler, wie die Gutachter feststellen. Puff hätte mit dem Beschuldigten sprechen müssen. Zudem hätte Heße eine kirchenrechtliche Voruntersuchung einleiten und die damalige Justiziarin der Erzdiözese die Staatsanwaltschaft informieren müssen.
Zu den Beschuldigten des vom Strafrechtlers Björn Gercke verantworteten Gutachtens zählen u.a. der frühere Generalvikar Norbert Feldhoff (81), der verstorbene Erzbischof Joseph Höffner (1906-1987) und vor allem der verstorbene Erzbischof Joachim Meisner (1933-2017).
Kardinal Woelki für unabhängige Aufarbeitung
Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki hat angekündigt, die weitere Aufarbeitung von Missbrauch in seiner Erzdiözese unabhängigen Stellen zu überlassen und sich selbst herauszuhalten. Künftig solle es eine unabhängige Kommission geben, "die dann auch von außen die Aufarbeitung begleiten und leiten wird", kündigte er am Donnerstagabend im Interview der ARD-"Tagesthemen" an. Zudem wolle die Erzdiözese in der kommenden Woche seinen Beraterstab zum sexuellen Missbrauch um eine unabhängige Gruppe erweitern. Künftig solle die Kommission und nicht er als Erzbischof sagen, wie Aufarbeitung zu erfolgen habe und weitergehen solle. Kommenden Dienstag will sich die Erzdiözese zu weiteren Konsequenzen aus dem Gutachten äußern.
Bereits am Montag hatte die Diözese Köln Details zur geplanten Kommission bekannt gegeben. Sie wird demnach mit Betroffenen, Experten aus Wissenschaft, Fachpraxis, Justiz und öffentlicher Verwaltung sowie Kirchenvertretern besetzt. Die Mitglieder würden mehrheitlich vom Land Nordrhein-Westfalen und den Betroffenen benannt. Mit dem Land und dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, gebe es bereits Gespräche, so Woelki.
Um die Untersuchung hatte es einen monatelangen Streit gegeben. Ein erstes Gutachten einer anderen Kanzlei wollte Woelki nicht wie zunächst vorgesehen veröffentlichen, weil er es für fehlerhaft hält. Der Kardinal verteidigte diese Entscheidung. Das nun vorliegende zweite Gutachten benenne die Dinge, die falsch liefen, deutlich und schone die Verantwortlichen nicht. "Ich habe mein Versprechen gehalten, ich habe ein Gutachten vorgelegt", so Woelki: "Da wird nichts verschwiegen. Insofern denke ich, dass eine Basis gelegt ist, auf der man aufbauen kann."
Berliner Erzbischof: Kirche hat sich schuldig gemacht
Die Kirche hat sich nach den Worten des Berliner Erzbischofs Heiner Koch durch mangelnde Konsequenz beim Vorgehen gegen Kindesmissbrauch schuldig gemacht. Sexueller Missbrauch von Kindern sei ein Verbrechen, das vorbehaltlos aufzuklären und zu verfolgen sei, mit aller Konsequenz, betonte Koch am Donnerstagabend in Berlin. "Dass wir das nicht getan haben, ist Schuld und das ist beschämend." Koch äußerte sich auf eine Nachfrage bei einer Veranstaltung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung.
Zugleich betonte er: "Wir sind keine Elitekirche der oberen 10.000, die fehlerlos leben." Die Kirche Jesu Christi sei auch der Ort, wo die Schwachen und Sünder ihren Platz hätten. Das dürfe aber nicht als Rechtfertigung der Sünde verstanden werden. Dies werde "an einem Tag wie heute dramatisch bewusst", so der Erzbischof. "Barmherzigkeit brauchen wir" so Koch. Sie sei aber "kein Freifahrtschein für Fehler, sondern Ansporn, in diesen Punkten sehr, sehr ernst mit uns umzugehen".
Quelle: Kathpress