St. Pöltner Caritasdirektor fordert humanitäre Aufnahmeprogramme
Neue Modelle einer geregelten und geplanten Zuwanderung hat der St. Pöltner Caritasdirektor Hannes Ziselsberger eingefordert. Trotz der momentan hohen Arbeitslosigkeit sei in Österreich schon bald ein Problem bei der Nachbesetzung freier Stellen absehbar. "Unsere Sozialsysteme sind davon abhängig, dass Betreuungs- und Pflegeaufgaben übernommen werden. Wir werden daher Zuwanderung benötigen", erklärte Ziselsberger in der St. Pöltner Kirchenzeitung "Kirche bunt" (aktuelle Ausgabe). Die nötige Debatte über Zuwanderung solle zwar nicht mit dem Thema Flucht vermengt werden, könne aber auch "nicht daran vorbeisehen". Insbesondere "gut durchdachte humanitäre Aufnahmeprogramme, die mit Integrations- und Bildungsangeboten verbunden werden", seien nach der Ansicht des Caritasdirektors vonnöten.
Unübersehbar habe der Wirtschaftsstandort Österreich ein "demografisches Problem", angesichts einer seit 30 Jahren anhaltend niedrigen Fertilitätsrate von 1,3 bis 1,5 Kindern pro Frau, gab Ziselsberger zu bedenken. Wie auch in vielen anderen Ländern Westeuropas sinke damit die Zahl der in Österreich geborenen Menschen pro Generation um 30 Prozent. Ab 2023/24 werde dies deutlich spürbar werden, mit dem Pensionsantritt der geburtenstarken Jahrgänge von 1959 bis 1969. "Allein für Niederösterreich bedeutet dies, dass dann jedes Jahr etwa 28.000 Personen ins Pensionsalter kommen, aber nur 17.000 junge Menschen ins Berufsleben einsteigen", verdeutlichte der Caritasdirektor.
Die frühere Strategie, fehlende Arbeitskräfte aus südöstlichen Nachbarländern zu decken, funktioniere heute nicht mehr, betonte der kirchliche Sozialexperte: In allen ehemaligen Ostblockländern seien seit 1989 die Geburtenraten eingebrochen, und viele junge und mobile Menschen etwa aus Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien seien schon nach Deutschland, England oder andere westliche Staaten ausgewandert, um dort fehlende Arbeitskräfte zu ersetzen. Weitere Abwanderung würde die Entwicklung in dieser Länder gefährden: Beispielsweise in Albanien, wo 1990 noch 82.125 Kinder zur Welt kamen, habe es 2020 nur noch 28.000 Geburten gegeben, und in Polen, Ungarn, Rumänien oder der Ukraine sei die Situation in abgeschwächter Form ähnlich.
Österreich steuere auf ein großes Problem am Arbeitsmarkt bei der Personalsuche zu, da die Wirtschaft für den Erhalt der Produktivität und Leistungsfähigkeit Fachkräfte in allen Arbeitsbereichen brauche, betonte Ziselsberger. Betreuungs- und Pflegekräfte würden dabei ebenso fehlen wie Polizisten, Lokführer, Lehrer oder Handwerker. Österreich müsse einerseits "lernen, mit einer sinkenden Zahl der Bevölkerung umzugehen", müsse zugleich aber auch sich selbst als "Zuwanderungsland" bewerben und den Blick auf das Thema Flucht verändern.
Rechtzeitig gegensteuern
Er wünsche in diesem Zusammenhang ein Bleiberecht aus humanitären und aus wirtschaftlichen Gründen für langjährig in Österreich befindliche und gut integrierte Menschen, erklärte der Caritasdirektor, "weil es unvernünftig und unwirtschaftlich ist, die Früchte jahrelanger (Bildungs-)Investition in Kinder und Jugendliche nicht 'zu ernten'." Ein Jahrzehnt massiver Investitionen in Integration, Bildung und sonstige soziale Infrastruktur sei nötig, um den strukturellen Wandels der Demografie zu bewältigen. Dabei gelte es laut Ziselsberger bestehende Ansätze im Kleinen wie Lerncafes, Integrations- und Deutschkurse sowie Leben in Nachbarschaft auszubauen und weiterzuentwickeln, und Formen sozialer Verantwortung der Zivilgesellschaft - die etwa bei den Protesten gegen Abschiebung gut integrierter Familien sichtbar geworden sei - wertzuschätzen.
Angesichts der massiven Umbrüche sei ein "strukturelles Vordenken" nötig, um "nicht zu spät mit dem Steuern zu beginnen", unterstrich Ziselsberger, der Österreichs Gesellschaft bildlich mit einem großen Schiff verglich: Um nicht auf einer Sandbank aufzulaufen, müsse angesichts des langen Bremsweges und des großen Kurvenradius frühzeitig eine Kursänderung vorgenommen werden. "Sonst kann es sein, dass es uns wie der Titanic gehen wird, die zwar möglichst schnell unterwegs war, auf der es Reichtum und Ausgelassenheit gab, die aber nicht in der Lage war, den Eisbergen auszuweichen - obwohl dem Kapitän bekannt war, dass es diese Eisberge gibt." Auch jetzt seien die "künftigen Eisberge" bereits bekannt, und ein rechtzeitiges Gegensteuern erfordere "Mut" vonseiten der Kapitäne, so der Caritasdirektor.
Quelle: kathpress