Theologe: Kirche soll nicht nur ins "Kerngeschäft" investieren
In Krisenzeiten - und die dauern in der Kirche angesichts sinkender Mitglieder-, Priester-und Gottesdienstzahlen schon Jahrzehnte - greift es zu kurz, nur in das "Kerngeschäft" Sakramentenspendung zu investieren, um Zukunft zu sichern. Das stellte Andreas G. Weiß, Theologe und Erwachsenenbildner in Salzburg, in der Wochenzeitung "Furche" (22. April) fest. Vor dem Hintergrund aktueller Strukturreformen in Diözesen wie Linz, Wien oder St. Pölten diagnostizierte Weiß, "mit zunehmender Krisenzeit werden jene Bereiche, in denen Menschen noch angesprochen werden, immer weiter wegrationalisiert, der Graben zwischen Kirche und Gesellschaft dadurch aber immer tiefer". Er forderte die Bereitschaft, das Risiko einer evangeliumsgemäßen Verkündigung in "fremden" Bereichen zu suchen und zu fördern.
Ein Großteil der kirchlichen Krisenherde ist aus der Sicht des Theologen "hausgemacht": Nicht die "böse" Welt von außen habe es in der säkularisierten Gesellschaft auf die christlichen Institutionen abgesehen, "vielmehr stolpern die Verantwortlichen immer wieder über eigene Führungsschwäche, mangelnde Transparenz und schlichtweg schwer durchschaubare Entscheidungen, die die Glaubwürdigkeit der gesamten Gemeinschaft schwer schädigen". Dabei würden es die verfassungsrechtlich neutralen westlichen Demokratien durchaus begrüßen, wenn sich die christlichen Konfessionen institutionell erholt um ihre vielfältigen Dienste für die Gesellschaft im Bereich von Bildung, Gesundheitswesen, Vereinskultur und Lebensberatung kümmern könnten.
Die "Strategien", die von Kirchenverantwortlichen vielerorts angesetzt werden, spiegeln laut Weiß folglich auch eine "systemimmanente Paradoxie" wider: Das kolportierte "Kerngeschäft" kirchlichen Lebens werde erhalten, ohne den Spalt zwischen Gesellschaft und ekklesialer Lebensweise zu schließen - "soll heißen: Sakramente sollen weiter gespendet werden (das ist auch gut so), jedoch jene Bereiche christlicher Existenz, die potenziell noch Menschen außerhalb der eigenen Blase erreichen, werden zunehmend eingespart". Das mag als lebenserhaltende Maßnahmen plausibel erscheinen, nicht jedoch als "Lösungsperspektiven", schrieb der Theologe.
Die "Schuld" daran weist Weiß nicht einfach den heutigen Entscheidungsträgern zu. Sie liege "mitunter tief in der Geschichte verborgen, die keiner der gegenwärtigen Akteure miterlebt, geschweige denn mitgestaltet hat." Und die kirchliche Lethargie komme "keinesfalls nur aus der aktuellen Führungsriege".
Nicht nur "Überbleibsel" verwalten
Durch mangelnde Risikobereitschaft drohe das Kerngeschäft jedenfalls zu einem "steinernen Überbleibsel" zu werden, "das der Lebendigkeit vergangener Tage nachtrauert, aber nicht mehr mit existenzieller Vitalität gefüllt wird", warnte Weiß. Es gelte vielmehr "Funken des Glaubens so erfahrbar zu machen, dass diese die systemischen 'Kern'-Bereiche überspringen". Der christliche Glaube lebe von "Grenzüberschreitungen" - nicht nur in Richtung der göttlichen Transzendenz, sondern ebenso in Richtung Kultur, Gesellschaft und zwischenmenschlicher Kommunikation.
Andreas Weiß ortet eine bedrohliche Divergenz zwischen mutigem Auftreten von kirchlichen Gründerfiguren wie Jesus, den Aposteln oder früher Missionare und den "aktuell lethargisch-taktischen Bereichsreduktionen". Mit der Investition in neue Bereiche und dem damit einhergehenden Risiko würden sich keinesfalls nur Kirchen schwer tun. Doch Weiß hält sie für unabdingbar: "Gerade jene Grenzbereiche kirchlichen Lebens, die aus der pfarrlich-klerikalen Perspektive der letzten Jahrhunderte als 'Außenbereiche' definiert wurden, sollten in der aktuellen Kirchenkrise nicht als 'Nice to have'-Strukturen angesehen werden", ermunterte Weiß zu einem Perspektivenwechsel. Als "systemferne" Einrichtungen lagen diese Bereiche vielmehr "an der Bruchstelle zur Gesellschaft, an der Pflänzchen neuen christlichen Lebens entstehen können".
Quelle: kathpress