"Weltkirche-Bischof" Freistetter besorgt über Gewalt in Kolumbien
"Weltkirche-Bischof" Werner Freistetter hat Sorge über die aktuelle Gewalteskalation in Kolumbien geäußert. "Wenn eine Regierung ihre eigene Bevölkerung als Gegnerin sieht oder der Staat die Kooperation mit den gesellschaftlichen Akteuren nicht pflegt, verschärfen sich Spannungen innerhalb einer Gesellschaft und werden zu Fronten", warnte der Vorsitzende der KOO (Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz für internationale Entwicklung und Mission) am Donnerstag in Wien. Freistetter teilt die Ansicht der Kolumbianischen Bischofskonferenz, dass friedlicher Protest ein Recht und eine legitime Maßnahme sein müssen, um Antworten auf soziale Bedürfnisse und Forderungen zu erhalten.
Derzeit erlebt das südamerikanische Land die schwersten Unruhen seit Jahren. Aufgrund einer geplanten Steuerreform, die vor allem Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen hart treffen würde, gingen Tausende in den Städten ganz Kolumbiens auf die Straßen, um ihrem Unmut Luft zu verschaffen, schilderte die KOO die Situation. Bei gewalttätigen Auseinandersetzungen am Mittwoch wurden allein in der Hauptstadt Bogota mindestens 46 Menschen verletzt. EU und UN zeigten sich insbesondere wegen der Berichte über massive Polizeigewalt alarmiert. Medien sehen hier gerade Jugendliche betroffen, die sich gegen "das verkrustete und von Korruption gekennzeichnete politische System" des Landes auf den Straßen versammeln, hieß es in der Aussendung.
Auch für Österreich gelte: "Wir müssen wachsam bleiben für Entwicklungen in allen Regionen der Welt, die das Gemeinwohl untergraben oder Menschenrechte verletzen", so Bischof Freistetter. Die Corona-Pandemie lasse manche Themen derzeit weniger stark im Fokus der Öffentlichkeit stehen, als es notwendig wäre.
Hinter den jüngsten Gewaltexzessen liegen laut KOO-Leiterin Anja Appel jahrzehntelange gesellschaftliche Konflikte, die nicht ausreichend bearbeitet bzw. "sogar strukturell geschürt" wurden. In einer Krise wie der aktuellen Pandemie würden fragile Umstände noch brüchiger. Wo steigende extreme Armut und schlechte Gesundheits- und Bildungsversorgung das Leben bestimmen, "müssen die soziale Ungleichheit verschärfende Maßnahmen zur Eskalation führen", sagte Appel. Die Debatte um die geplante Steuerreform sei wohl nur der berühmte Tropfen, der das Fass endgültig zum Überlaufen brachte.
Der Kirche maß Appel eine wichtige Rolle bei: Sie müsse sich überall für friedvolle Lösungen einsetzen, den Armen und Bedrängten beistehen, die Demokratie verteidigen und Räume für Dialog und möglichen Vertrauensaufbau anbieten. "Wir wissen von vielen Situationen, in denen die Ortskirche eine der Institutionen ist, die gegnerische Akteure an einen Tisch bringen kann, humanitäre Lösungen für Notsituationen findet oder als Anwältin für die Grundrechte der Menschen auftritt, wo diese von Seiten der Machthaber verletzt werden", wies Appel hin.
Auch die katholischen EZA-Organisationen innerhalb der KOO stünden in solchen Momenten an der Seite ihrer Partnerorganisationen vor Ort: "Es gilt, die eigenen Möglichkeiten einzusetzen, damit schwelende oder eskalierende Konflikte Aufmerksamkeit bekommen", so Appel abschließend.
Rückfall nach Friedensbemühungen
In Kolumbien sind laut Human Rights Watch (HRW) seit Beginn der Proteste vor gut einer Woche bisher 31 Menschen ums Leben gekommen. Für mindestens die Hälfte der Toten sollen die Sicherheitskräfte verantwortlich sein, berichten lokale Medien unter Berufung auf die Ombudsstelle zur Verteidigung der Rechte des kolumbianischen Volkes. Hilfsorganisationen verurteilten die Polizeigewalt und befürchten einen Rückfall in überwunden geglaubte Gewalt, nachdem Ex-Präsident Juan Manuel Santos Calderon 2016 für seine Bemühungen um den Friedensprozess in Kolumbien den Friedensnobelpreis erhalten hatte. 2020 gingen wieder mehrere zehntausend Menschen auf die Straßen, um gegen eine anhaltende Mordserie gegen Sozialaktivisten und Menschenrechtler zu demonstrieren. Auch hatten sie eine schleppende Umsetzung des Friedensprozesses mit der ehemaligen FARC-Guerilla beklagt.
Quelle: kathpress