Der Papst und ein ungewöhnliches Angebot aus München
Kardinal Reinhard Marx ist 67 Jahre alt. Seinen Rücktritt als Erzbischof von München-Freising aus Altersgründen müsste er frühestens in sieben Jahren anbieten, kurz vor dem 75. Geburtstag. Der Münchner Erzbischof ist auch nicht ernsthaft krank, hat seine Diözese nicht gegen die Wand gefahren oder sich schwerer Vergehen schuldig gemacht. All dies wären Gründe, die das Kirchenrecht für den Rücktritt eines Bischofs vorsieht. Insofern ist Marx' Angebot zurückzutreten ungewöhnlich.
In Rom - und bei der Weltpresse - stößt die Meldung auch deshalb auf besonderes Interesse, weil Reinhard Marx immer noch als der starke Mann der katholischen Kirche in Deutschland wahrgenommen wird. "Bricht dort jetzt alles zusammen?", fragen besorgte Vatikan-Beobachter auch mit Blick auf die Apostolische Visitation in der Erzdiözese Köln und die argwöhnisch beäugten Debatten im Synodalen Weg.
Der Papst hat nun drei schwierige Vorgänge auf seinem Schreibtisch liegen: die Erzdiözese Köln, Kardinal Marx - und im Hintergrund den Synodalen Weg in Deutschland als Teil des universalen Synodalen Prozesses. Welche Entscheidungen er treffen wird, ist schwer einzuschätzen. Schwer zu sagen auch, inwieweit er sie gegeneinander abwägt, weil es um die beiden ortskirchlichen Schwergewichte in Deutschland mit Kardinalspurpur geht.
Sicher ist: Franziskus und Marx schätzen einander. Auch wenn beide unterschiedliche Typen sind und nicht immer einer Meinung. Vor allem schätzt Franziskus es, wenn jemand nicht an seinem Amt klebt, Verantwortung übernehmen und Konsequenzen tragen will. Es scheint daher schwer vorstellbar, dass der Papst es Marx gestattet, sich ganz zurückzuziehen.
Immerhin ist der Deutsche Leiter des vatikanischen Wirtschaftsrates und Mitglied im Kardinalsrat. Und auch wenn Marx den Papst "sehr" bittet, "den Verzicht anzunehmen", könnte Franziskus ihm dies verweigern, wie er es auch zunächst bei Kardinal Philippe Barbarin von Lyon tat. Dieser musste sich bereits wegen Missbrauchsvertuschung vor einem staatlichen Gericht verantworten, wurde aber freigesprochen.
Ob der Papst ein Rücktrittsangebot annimmt, entscheidet er "nach Abwägung aller Umstände", heißt es im Kirchenrecht. Er wird in Konflikt- oder Streitfällen neben dem Kirchenrecht auch die pastorale, politische Situation in der Diözese oder die persönliche Lage der Betroffenen mitbedenken. Grund für einen Wechsel in der Diözesanleitung ist die Tatsache, dass "eine fruchtbare Ausübung des bischöflichen Amtes" nicht mehr möglich oder die Einheit einer Diözese nicht mehr gewahrt ist.
Beides müsste für den Vatikan überzeugend nachgewiesen sein. Und solches behaupten derzeit nicht einmal Marx-Gegner in Medien oder unter seinen Mitbrüdern. Andererseits: Sollte der Papst den Rücktritt annehmen und Marx - der ja betont, er sei nicht amtsmüde - etwa an der Kurie auf einen wichtigen Posten hieven, bliebe der Kardinal Teil und Repräsentant des Systems, dessen Versagen er so kritisiert.
In der Erklärung zu seinem Rücktrittsangebot spricht Marx sich klar für den Fortgang des Synodalen Weges aus, begrüßt dessen Einbindung in den vom Papst ausgerufenen, weltweiten Prozess. Das ist in Franziskus' Sinn. Zwar hadert der Argentinier mit der Organisationswut, dem Funktionalismus des Synodalen Weges in Deutschland, aber es ist ihm recht, dass auch über systemische, institutionelle Fragen nachgedacht, gesprochen und darüber gebetet wird. Anders als andere Kritiker in Rom und in der Weltkirche sieht Franziskus selbst kein deutsches Schisma heraufziehen.
Die Situation in der Erzdiözese Köln samt der Personalien ist eine komplexere Materie. Hier wird der Papst sich von seinen Visitatoren und der Bischofskongregation zuarbeiten lassen. Den Brief von Marx hingegen bewegt er wohl noch einige Zeit weiter im Herzen und entscheidet zu gegebener Zeit. Denkbar, dass dies erst geschieht, wenn auch in München ein Gutachten zum Umgang mit sexuellem Missbrauch vorliegt.
Quelle: Kathpress