Wiener Theologe Treitler sieht Papst-Entscheidung zu Marx kritisch
Kritisch zur Ablehnung des Rücktrittsgesuchs von Kardinal Reinhard Marx durch Papst Franziskus hat sich der Wiener Theologieprofessor Wolfgang Treitler geäußert. Die viel geforderte "innere Umkehr" der Kirche, die auch im Antwortschreiben des Papstes an den Erzbischof von München und Freising deutlich wird, müsse auch zu strukturellen Veränderungen führen, sagte Treitler im Interview mit Radio Vatikan/Vatican News (Mittwoch). Erst eine solche Umkehr, die auch "äußerlich institutionell kenntlich" werde, könne von Missbrauchsopfern anerkannt werden. "Sonst, fürchte ich, bleibt es auf halbem Weg hängen", warnte der an der Universität Wien lehrende Fundamentaltheologe, der als Schüler selbst Missbrauch erlitt.
Die Reaktion des Papstes, Marx' Rücktrittswillen nicht zu entsprechen, sondern ihn als Erzbischof im Amt zu belassen, habe ihn überrascht, schilderte der Theologe. Für problembehaftet erachtet Treitler insbesondere, dass Franziskus die autonome Selbstentscheidung des Kardinals nicht anerkannt habe, sondern sozusagen von oben kommend Gehorsam eingefordert habe. "Das halte ich für sehr problematisch, weil das ja genau die Strukturen sind, in denen auch Missbrauch möglich geworden ist. (...) Ein steil von oben kommendes Gehorsamsgefüge, das die Leute in die Pflicht nimmt", erklärte der Theologe.
Um zu einer nachhaltigeren Erneuerung zu gelangen, bräuchte es aus Sicht Treitlers ein grundlegenderes Ausscheren aus dem gewohnten Sprechen und Tun, und möglicherweise auch einmal einen Regelbruch, um darauf aufmerksam zu machen, dass die Selbstbestimmung des Menschen als Ebenbild Gottes eine wichtigere Bedeutung habe als der Gehorsamsvollzug im institutionellen Gefüge. In diesem Sinn habe er, so der Theologe, beim Lesen des Antwortbriefes von Papst Franziskus an den Münchner Erzbischof gedacht: "Was würde eigentlich geschehen, wenn nun Kardinal Marx sagt: Ich habe meinen Rücktritt angeboten, er wurde nicht angenommen, ich vollziehe ihn aber jetzt. Was würde hier geschehen? (...) Ich glaube, dass solche Weigerungen sehr heilsam wären, um einmal mal zu sehen, dass man diese Dinge nicht in geübter Form weiterlaufen lassen kann, sondern dass es hier wirklich Zäsuren und radikales Umkehren braucht."
Darauf, wie Kardinal Marx nun sein Bischofsamt in München ausüben werde, sei er "schon gespannt", so Treitler weiter. Das Thema eines geänderten Zugangs zur Amtsführung sei "hochinteressant", und zwar, "weil es ja von Marx aus das Ansinnen gab, dass er sich in die Pastoral begibt und gleichsam wegkommt von einer doch weithin barock gehaltenen Amtsführung", so der Theologe. "Mich würde hier jetzt wirklich interessieren, ob es Kardinal Marx gelingt, (...) dass er sich als Kardinal von München-Freising wirklich als eine Art bischöflicher Priester versteht, der die administrativen Agenden abgibt und pastoral tätig wird."
Dazu gehört aus Sicht Treitlers, "ungeschützt (...) an die Peripherie zu gehen" und sich den Zeugnissen Betroffener auszusetzen. "Wenn Marx das macht, wenn er so gesehen wirklich eine neue Praxis seines Kardinalats und seines Erzbischof-Daseins zeigt, dann wäre das eine Sache, wo ich sagen würde, da kommt man produktiv aus dieser Sache heraus und macht auch wirklich aus ihr etwas."
(Gesamtes Interview zum Nachhören unter https://www.vaticannews.va/de/kirche/news/2021-06/wolfgang-treitler-interview-ruecktritt-marx-papst-brief.html)
Quelle: kathpress