Theologe: "Vom Fußball kann Kirche viel über Begeisterung lernen"
Ein Stoßgebet zum Himmel, ein Kreuzzeichen, oder ein religiös motiviertes Tattoo wie etwa Engelsflügel, Kreuze, gefaltete Hände oder Rosenkränze zeigen, dass religiöse Symbole und Gesten unter Fußballer häufig vorkommen. Während der Fußball-Europameisterschaft werden sie vermehrt sichtbar. Von einer "Allianz" zwischen Fußball und Religion spricht der Grazer Theologe Anton Tauschmann. Das Resümee des Seelsorgers und Fußball-Experten: "Zum Thema Begeisterung könnte sich die Kirche noch einiges vom Sport abschauen."
Fußball berühre die Menschen stark, weil er unmittelbar sei. Fast alle hätten selbst schon einmal einen Ball gekickt, alle würden glauben sich auszukennen und würden mitreden können. Auch als Kirche müsse man sich bemühen, "die Menschen wieder mehr zu berühren", appellierte Tauschmann auf der Website der Diözese Graz-Seckau in einem Interview.
Der Theologe erinnerte daran, dass viele Fußballer einen religiösen Bezug haben und öffentlich dazu stehen, von Toni Polster und David Beckham, bis hin zu David Alaba. Letzterer ist Mitglied der christlichen Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten, präsentierte bei seinem Champions League Sieg 2013 stolz sein T-Shirt mit der Aufschrift "Meine Kraft liegt in Jesus" und postet zu seinem Glauben. Social Media bringe eine erhöhte Aufmerksamkeit für die Spieler als früher. Auch der Engländer Raheem Sterling verbreitet über die Sozialen Medien christliche Botschaften und betet vor jedem Spiel. Darüber hinaus gebe es in vielen Stadien wie in Barcelona, Gelsenkirchen und Hütteldorf Kapellen, in denen auch geheiratet werde, so Tauschmann.
Religiöse Vielfalt
Im Laufe der Geschichte seien auch Spieler, die sich einer anderen Religion zugehörig fühlen, im Fokus der Öffentlichkeit gewesen. Mitte der 90er-Jahre war etwa der Italiener Roberto Baggio, ein bekennender Buddhist, oft im Zentrum der Aufmerksamkeit. Ab und zu würden auch muslimische Fußballer auffallen. Sichtbar sei aber vorwiegend eine große freikirchliche Szene, die oft offensiver mit ihrem Bekenntnis zum Glauben umgehe. Unter den Katholiken würden die traditionell sehr katholischen Teams der Halbfinalisten Spanien und Italien auffallen.
Religion oder "nur" Sport?
"Vieles, was sich am Platz abspielt, geht schon stark ins Religiöse", meinte Tauschmann. So spreche man etwa von der "Kathedrale von Wembley" und die Spieleraufstellung werde ähnlich einer Allerheiligenlitanei rezitiert. Schlachtgesänge seien in ihrem Ursprung häufig Kirchenlieder wie "When the saints go marchin' in". Der Strafraum als "besondere Zone" gleiche dem Altarraum, in dem sich das Allerheiligste - in dem Fall das Tor - befindet. Nicht zuletzt leite sich das Wort "Fan" vom lateinischen "fanum" ab, das einen heiligen Ort bezeichnet.
Das wöchentliche Treffen am Fußballplatz als fixer Termin gleiche als Konstante einem Gottesdienst. "Man trifft sich mit Gleichgesinnten vor dem Stadion wie vor der Kirche, feiert zusammen das Spiel mit Gesang und danach geht es statt zum Pfarrkaffee zum gemeinsamen Bier", konstatierte Tauschmann. Bei existenziellen Fragen sei der Fußballverein jedoch keine Anlaufstelle mehr.
Die religiösen Bezüge seien auch im Journalismus rund um den Sport offensichtlich: Von der "Auferstehung" einer Mannschaft, wenn sie sich zurückkämpft, über das "erlösende" Tor, bis zu Menschen, die ins Stadion "pilgern" und der Bezeichnung "St. Hanappi" seien viele Anspielungen üblich. "Unvergessen ist auch die 'Hand Gottes', die Diego Maradona 1986 im WM-Finale zwischen Argentinien und England zum geflügelten Wort machte", erinnerte sich der Fußball-Experte.
Fußballer würden zwar wie "Kurzzeitheilige" betrachtet werden, doch sobald sie aufhören, Misserfolge sammeln oder anderweitig negativ auffallen, sei der Idolstatus schnell aberkannt. Der Philosoph Peter Sloterdijk habe einmal von "Augenblicksgöttern" gesprochen, die für einen Moment groß sind, aber dann schnell durch jemand neuen ersetzt werden, so Tauschmann.
Quelle: kathpress