Theologin: Heiligkeit und Ketzerei zwei Seiten derselben Medaille
Auf die vielen Berührungspunkte zwischen Heiligkeit und Ketzerei hat die Grazer Religionswissenschaftlerin Theresia Heimerl hingewiesen. Beides sei "immer aktuell, wenn man sich mit Religion beschäftigt, weil das sozusagen zwei Seiten derselben Medaille sind", sagte die Theologin in einem Interview der Kärntner Kirchenzeitung "Sonntag" (aktuelle Ausgabe) im Anschluss an das jüngste "Forum Junge Theologie" in Tanzenberg. Heimerl erinnerte dazu an große Persönlichkeiten der Kirchengeschichte wie Franz von Assisi (1181/1182-1226) oder Heinrich Seuse (1295/1297-1366), die erst der Ketzerei beschuldigt und dann in den Heiligenkalender aufgenommen wurden.
Bei mittelalterlichen Heiligen seien alternative Deutungen von Religion "sehr schnell von den religiösen Autoritäten auf dämonisches Wirken zurückgeführt" worden. Aber nicht nur in der christlichen, auch in der jüdischen und in der islamischen Tradition fänden sich immer wieder Personen, denen unterstellt worden sei, von Dämonen besessen zu sein, wies die Religionswissenschaftlerin hin. Das "durchaus heiligmäßige Anliegen, eine Religion zu erneuern", werde bis in die Gegenwart von Gegnern dieser Erneuerung gerne als Ketzerei eingeordnet, die vom Teufel oder von Dämonen befördert wird. Sogar bei einem Papst wie Franziskus sei dies vorgekommen.
Wenn Derartiges geschehe, sollte man nach den Worten Heimerls erst einmal nach der wirklichen Intention der mutmaßlichen Ketzerinnen oder Ketzer fragen. "Und man muss auch lernen auszuhalten, dass es eine gewisse Ambiguität zwischen Heiligkeit und Ketzerei gibt, und dass es sich manchmal wirklich erst im Nachhinein herausstellt, was was war." Statt vorschnell zu urteilen, möge man im biblischen Sinn schauen: "An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen", riet die Theologin. Dann löse sich vermeintlich Dämonisches meistens schnell auf.
"Abweichungen vom religiösen Mainstream"
Die in Graz lehrende Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Religionswissenschaft, deren Forschungsschwerpunkte Religion und Film/TV, Religion-Körper-Gender und die europäische Religionsgeschichte sind, gehört seit zehn Jahren auch dem Leitungsgremium des "Forums Junge Theologie" des Klagenfurter Instituts für Religionspädagogik in Tanzenberg (Kärnten) an. Die jüngste Zusammenkunft war anlässlich des 50. Geburtstags Heimerls dem Thema "Dämon:innen, Ketzer:innen, Heilige - Formen religiöser Devianz in Text und Bild" gewidmet, wie der "Sonntag" berichtete. "Abweichungen vom religiösen Mainstream" standen im Mittelpunkt von insgesamt elf Festvorträgen.
Als Mystiker im Grenzbereich zwischen Ketzerei und Heiligkeit sei dabei z. B. Meister Eckhart (um 1260-1328) beleuchtet worden, dem sich Heimerl in ihrer Dissertation gewidmet hatte. Das Inquisitionsverfahren gegen ihn, das erst nach seinem Tod endete, habe zwar 28 Sätze aus seinen Werken und Predigten verurteilt; dennoch sei Eckhart wegweisend für Spiritualität und Theologie in Deutschland und den Niederlanden geblieben. Mit Johannes dem Täufer stand auch eine biblische Gestalt im Zentrum eines Vortrags: Der Grazer Neutestamentler Josef Pichler zeichnete vom Rufer in der Wüste das Bild eines charismatischen und gleichzeitig stigmatisierten Heiligen, der zur Speerspitze einer Protestbewegung geworden sei.
Für einen Zugang aus dem Blickwinkel der Religionswissenschaften sorgte Ulrike Bechmann: Die Leiterin des Grazer Uni-Instituts referierte über die Bedeutung der "Dschinn" im Koran, die in Form des Märchens aus 1001 Nacht, Aladin und die Wunderlampe, auch im Okzident bekannt wurden: Diese Wesen, die nicht Mensch, aber auch nicht Engel sind, stünden für reale Ängste und Probleme, auch für soziale Bedrohungen, so Bechmann. Indem man sie Geistern zuordnet, würden sie benennbar. Aus individuellen Problemen würden gesellschaftliche, heikle Themen somit ansprechbar.
Quelle: Kathpress